Der Königsschlüssel - Roman
da rein«, flüsterte Urs.
Vela wollte anscheinend auch nicht, sie holte den angeleinten Raumgeist aus seiner Kiste und setzte ihn auf den Boden, mit dem Rücken zur Stadt. Doch ungerührt drehte sich der kleine Kerl einfach um und begann stur, der Straße nach Sanjorkh zu folgen.
»Dann muss es wirklich sein«, flüsterte sie und packte den zappelnden Raumgeist nach ein paar Metern wieder ein.
Urs schien erleichtert, dass sie von allein zu dem Schluss gekommen waren. Er nickte ihnen aufmunternd zu und zog sein Schwert. »Ich gehe voraus«, sagte er.
Aber die Straße war breit genug für drei, deshalb schritten sie am Ende doch nebeneinander hinein, der Bär in der Mitte.
Die Luft schmeckte nach Metall und Staub und roch bitter,
Cephei atmete sie nicht gern ein. Es war nicht einfach dunkel wie nachts in Marinth, sondern mehr, als ginge man durch dichten schwarzen Nebel. Einige Schritt weit konnten sie sehen, alles andere wurde verschluckt; auch eine brennende Öllampe half kaum.
»Wir machen sie besser wieder aus«, beschloss Urs nach einer Weile. »Wir sehen kaum mehr, werden aber vielleicht leichter entdeckt. Wer weiß, ob es hier Wesen gibt, die sich an die Düsternis gewöhnt haben.«
Vela lief ganz nahe neben Urs und sah immer wieder in sein Gesicht hoch, um dann wieder die Dunkelheit nach Gefahren abzusuchen. Sie war noch schweigsamer als in den letzten Tagen, und Cephei machte die Stadt dafür verantwortlich, diesen unheimlichen Ort. Ab und zu ertappte er Vela dabei, wie sie ihn oder den Bären nachdenklich musterte.
Auch innerhalb Sanjorkhs waren die Häuser grau wie die Wolke. Vielleicht regnete es hier graue Tropfen, und die Häuser hatten so diese Farbe angenommen, überlegte Cephei.
Oder hatte es früher keinen Roststein gegeben, mit dem man leuchtend rote Gebäude hätte errichten können? Manche Häuser besaßen riesige Fenster im Erdgeschoss, und Cephei fragte sich warum, wenn hier unten doch nie die Sonne schien?
Vorsichtig trat er an eines der Fenster heran, legte die Hände an die Scheibe und versuchte, hindurchzuspähen. Aber das Glas war so fleckig, dass er kaum etwas erkannte. Der Raum hinter dem Fenster war dunkel, Gegenstände und Schutt lagen auf dem Boden. Etwas, das aussah wie ein Stuhl.
»Siehst du etwas?«, fragte Urs hinter ihm.
»Nichts Interessantes.« Jedenfalls nichts, was sich mitzunehmen lohnte. Vielleicht hatten die Gesetzlosen ja schon die Stadt
geplündert und alles weggeschafft, das irgendwie von Wert gewesen war. Er wandte sich wieder ab und lief zurück auf die Straße zu Urs und Vela, die ungeduldig mit dem Fuß wippte.
Ob sich die beim Turnier siegreichen Ritter auch nach Sanjorkh hineingewagt hätten? Bei dem Gedanken grinste er kurz, obwohl die Stadt ihm noch immer unheimlich war.
Nach einiger Zeit machte die Straße einen Bogen, und bald darauf teilte sie sich. Vela holte erneut den Raumgeist aus der Kiste, der sich ohne zu zögern für den rechten Abzweig entschied. Sie hob ihn hoch, aber die Kiste verstaute sie nicht mehr im Rucksack; vermutlich würden sie ihn sowieso gleich wieder brauchen. Am Himmel konnten sie sich nicht orientieren, nicht einmal eine blasse Ahnung der Sonne war durch die Wolke hindurch auszumachen.
Sie kamen an der Ruine einer riesigen Halle vorbei. Eingänge, größer als Stadttore, führten hinein, doch Fenster waren in den Überresten der Mauern nicht zu entdecken. Neben ihr stand ein runder, grauer Turm, der etwa so breit wie eine einfache Waldarbeiterhütte war, aber so hoch, dass sich seine Spitze über ihnen in der Düsternis verlor. Nicht ein Fenster war zu sehen, nicht einmal eine Schießscharte, auch kein Eingang zu ebener Erde. Aber eine Leiter aus fleckenüberzogenem Stahl hing an seiner Außenwand.
»Vielleicht sollte ich raufklettern«, sagte Cephei leise, als er an dem Turm hochsah. »Vielleicht sehe ich ja von oben doch etwas, wer weiß.«
»Spinnst du?«, stieß Vela hervor, aber in ihren Augen lag nicht nur Entsetzen, sondern auch ein wenig Bewunderung.
Urs nickte nachdenklich. »In Ordnung. Aber pass auf.«
»Was soll er von dort oben sehen? Da ist es dunkel!«, protestierte
Vela, die sich tatsächlich Sorgen um ihn zu machen schien.
»Diese Wolke ist nicht normal«, verteidigte Urs Cepheis Plan. »Wenn sie Zauberei ist, wissen wir gar nicht, wie sie reagieren könnte. Und Zauberer leben doch gern in Türmen, wer weiß, was Cephei hier herausfindet. Vielleicht führt der Turm ja bis über die Wolke, und er
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