Der Königsschlüssel - Roman
Ritter, der sein Pferd am Halfter über die Brücke führte. Auf dem Kopf trug er einen goldenen Helm mit blauen Federn. Er besaß ein kantiges Gesicht, und sein Wappen mit dem goldenen Adler glänzte im Schein der Sonne. Sie ließ den Adler glänzen
und gleißen, und nach dem Grau von Sanjorkh war das ein recht beeindruckendes Schauspiel.
Nachdem sie tagelang keinen Menschen mehr getroffen hatten, blieben sie abrupt stehen.
»Herr Solbert«, knurrte Urs.
»Kennst du ihn?«, fragte Vela.
»Nicht persönlich. Aber ich erkenne seinen goldenen Adler.«
Der Ritter war nun wenige Meter von ihnen entfernt und blieb stehen. Das Pferd scharrte unruhig mit den Hufen. Die Nähe der Ruinenstadt schien es nervös zu machen.
»Mit wem habe ich die Ehre?«, fragte der Ritter und streckte dabei sein Kinn in die Luft.
Der Bär zog seinen Hut und verbeugte sich leicht. »Das sind Cephei und Vela, und mein Name ist Urs«, antwortete er.
»Ah, der titellose Bär, der gern ein Ritter wäre, nehme ich an.« Herr Solbert zupfte sich einen Fussel vom Ärmel. »Man hört von Euch, ganz zweifellos. Ihr habt so manches Abenteuer bestanden, jenseits und diesseits des Rauschwalds. Und nun ist es Euch sogar gelungen, der verfluchten Ruinenstadt zu entkommen. Gar nicht schlecht, muss ich sagen, gar nicht schlecht. Aber ein Ritter seid Ihr deshalb trotzdem nicht. Also muss ich darauf bestehen, dass Ihr die Brücke räumt, denn ich werde sicherlich nicht einem Bären ohne Titel den Weg freimachen. Und ich habe es eilig. Ich habe bereits die Schlüsselzeremonie verpasst, weil diese elenden Barbaren im Süden keine Zahnzangen kennen! Eine ganze Woche habe ich mich vor Schmerzen gekrümmt und kam nicht vom Fleck. Aber ich will Euch die Einzelheiten ersparen.«
Dafür war Cephei dankbar. Er sah zu Vela, aber auch die sagte kein Wort über die Geschehnisse in Marinth. Ritter Solbert würde schon noch erfahren, was dort passiert war.
»Nun? Was ist?«, fragte Herr Solbert ungeduldig.
Doch Urs wollte nicht weichen. »Wir sind gerade der Düsternis von Sanjorkh entronnen, und wir werden sicher nicht dorthin zurückkehren, damit Ihr als Erster die Brücke überqueren könnt. Geht Ihr ein Stück zurück, damit wir passieren können!«
Cephei verstand nicht, warum sich Urs und der Ritter darum stritten, wer zuerst die Brücke passieren sollte, aber wenn Urs so darauf bestand, dann würde es schon seinen Sinn haben.
»Das ist meine Brücke!«, schrie der Ritter, und Urs: »Ihre Brücke? Das wollen wir doch erst einmal sehen!« Er drehte seinen Kopf hin und her, bis sein Nacken knackte, und zog dann das Schwert.
»Oho, tatsächlich, Ihr habt eine richtige Waffe.« Der Ritter schwenkte seinen Hut, aber Cephei wusste, dass er den Gruß nicht ernst meinte. »Und ich dachte immer, Ihr könntet euch nicht einmal einen eisenverstärkten Knüppel leisten.« Gemächlich holte Solbert seinen Schild vom Rücken des Pferdes, sein Schwert steckte noch in der Scheide.
»Los, Urs, gleich drauf«, rief Vela, aber der Bär schüttelte nur den Kopf und sah sie vorwurfsvoll an: »Das wäre nicht ritterlich.«
»Du bist aber doch kein Ritter, und ich will hier raus, bevor die Käfer herkommen.«
Urs’ Gesicht versteinerte. »Wir sind gleich raus, so nah am Stadtrand passiert schon nichts mehr. Und ritterliches Verhalten hat nichts mit einem Adelstitel zu tun.«
»Ach, meint Ihr?«, spottete der Ritter wieder. »Ihr glaubt tatsächlich, ein Bär ohne Stammbaum könnte ehrbar handeln? Könnte mehr sein als ein unkultiviertes Tier? Seid froh, wenn Euch irgendwelche armen Bauern als ihresgleichen akzeptieren, aber erwarte das nicht von alteingesessenen Ritterfamilien.«
»Ich erwarte nur, dass Ihr uns passieren lasst. Für Euch sind es zehn Schritte zurück, für uns dreihundert.«
»Ich weiche nicht einen Schritt, schon gar nicht vor Euch!«
»Komm, Urs, dann gehen wir eben zurück«, versuchte Vela einzulenken, denn Herr Solbert hatte inzwischen den Schild aufgenommen und zog sein Schwert. Es war eine lange glänzende Klinge, und er schwang sie mit Kraft und Geschick, als er sie prüfend durch die Luft sausen ließ.
Doch Urs hatte längst Kampfstellung eingenommen. »Das wollen wir doch mal sehen!« Seine Augen leuchteten wie im Rausch, und er befahl: »Zurück, Kinder!«, ohne auf Velas Worte einzugehen.
Cephei bezweifelte, dass er sie überhaupt gehört hatte. Er hatte auch Angst um Urs, aber es leuchtete ihm ein, dass sich ein wahrer Mann einem solchen
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