Der Kofferträger (German Edition)
dazu. Sie hatten die besondere Tragweite der Dokumente nicht erkannt.
Jürgen schloss die Kiste und verstaute sie im Rucksack. Den band er oben zu. Er durfte nichts verlieren. Die Kellertür verschloss er. Schade, dachte er die kaputte Scheibe war nicht notwendig. Er lauschte noch einmal den Schnarchern, dann entfernte er sich so leise, wie er gekommen war. Er schwang sich gleich wieder hinter das Steuerrad und machte sich auf den Weg nach Tarent.
*
Um sieben Uhr früh erreichte er die südliche Stadt, in der das Leben längst zu pulsieren begonnen hatte. Er parkte seinen Wagen vor dem Hotel ‚Delfino‘ in der Viale Virgilio 66 und begab sich zur Rezeption. Der Nachtwächter wusste, dass ein Herr kommen würde, und gab ihm freiwillig den Schlüssel zu Corinnas Zimmer.
„Könnten sie die Dame bitte anrufen, damit sie Bescheid weiß und sich nicht erschreckt?“
Der Portier wählte die Zimmernummer.
„Frau Grütze, der Herr ist da. Er kommt jetzt zu ihnen hoch.“ Dann hing er ein.
Jürgen tat so, als hätte er es nicht gehört.
„Was sagt die Dame?“
„Frau Grütze erwartet sie in ihrer Suite.“
Er pfiff durch die Zähne. Sie hatte sich gleich eine Suite genommen. „Aus Sicherheitsgründen“, meinte Corinna, als sie sich sahen. „Die Italiener werden immer dann vertraulich, wenn es um viel Geld geht. Kommst du als kleiner Schlucker daher, verraten sie jedem deine n Namen. Von den größeren Fischen dagegen erwarten sie mehr Futter. Hast du die Dokumente?“
Er wies auf den Rucksack.
„Hast du ein Flugzeug?“, stellte er die Gegenfrage.
Sie nickte. Jürgen lag bereits auf dem Bett und war eingeschlafen. Sein völlig erschöpfter Körper forderte sein Recht. Das Bewusstsein, sie würde ihn schon rechtzeitig zum Flugzeug wecken, ließ ihn sorgenfrei ruhen.
„Es ist viel zu spät, wir haben unsere Maschine verpasst“, nachmittags um vier war er aufgesprungen und hetzte ins Bad.
„Beruhige dich“, meinte sie. „Nichts hast du verpasst. Wir bekommen ein Flugzeug erst um sieben. Es tut mir Leid, früher ging es nicht.“
Jürgen Schütz beruhigte sich, selbst wenn sie früher geflogen wären, hätte er den heutigen Gerichtstermin nicht mehr erreichen können. Morgen in der Frühe war die nächste Möglichkeit. Wenn der Prozess überhaupt noch lief. Das war jetzt seine größte Sorge.
Lohnte sich der Aufwand noch?
56 Letzte Frist
Die Presse tönte vollmundig mit ihren Beschuldigungen gegen die Politiker. Das könnte im Ernstfall auf Horst und Stahl zurückschlagen.
Auch am nächsten Tag konnte Horst nicht die Beweise gegen die Gesellschafter der ‚Intercom AG‘ und die anderen Papiere vorlegen. Er wurde von Jost verhöhnt, von Braunegger der infamen Lüge bezichtigt. Das Gericht entschied sich, das Verfahren zu beenden. Braunegger drohte eine Geldstrafe in Höhe von 300.000,- DM wegen nicht angegebener Parteispenden. Bei dieser Höhe gab es noch keine Gefängnisstrafen. Der Kanzler grinste, als er diese ‚Peanuts‘ vernahm. Die würde er durch Spenden wieder einsammeln. Dr. Jost kündigte eine Klage gegen den Oberstaatsanwalt und Dr. Stahl an.
Dr. Horst hatte noch ein Eisen im Feuer, um den Prozess zu verlängern. Sorgfältig hatte er mithilfe des Gerichts die Vernehmung der beiden Ärzte vorbereitet, die „die Autopsie des in der Badewanne ertrunkenen Herrn Schütz“ vorgenommen hatten. Sie waren für den nächsten Tag vorgeladen. Diese Zeit gewährte ihm der Richter noch. Am Tag danach sollte der Prozess beendet werden. Es wäre wie das Siegtor beim letzten Angriff, sagte Dr. Holz zu Dr. Stahl.
57 Learjet für zwei
Um neunzehn Uhr startete der gemietete Learjet. Corinna hatte vermieden, Namen und Ausweis anzugeben. Das war der Vermieterfirma auch gleichgültig. In dem Moment, als sie zehntausend DM auf den Tresen legte, hatte sie das Flugzeug. Beim Start wurden sie durcheinander geschüttelt, als gäbe es einen Hurrikan. Jürgen drückte seine Metallbox fest an sich. Niemals würde er sie wieder aus den Fingern geben, es sei denn seinem Anwalt in Berlin. Auf einem Monitor las er permanent den Streckenverlauf ab. Er konnte es schon nicht mehr erwarten, bis sie endlich in Berlin waren. Jetzt aber näherten sie sich zunächst Pescara, als sie merkten, wie sich die Nase des Flugzeugs nach unten senkte.
„Was ist los?“, wollte er von der automatisch mit angeheuerten Stewardess wissen.
„Der Pilot entschuldigt das“, sagte sie. „Wir werden
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