Der Kojote wartet
Hosteen Pinto. Er würde niemals einen Menschen umbringen.«
Leaphorn wartete, betrachtete ihr Gesicht und gab ihr Gelegenheit, mehr zu sagen. Sie saß zunächst schweigend da und sah auf ihre Hände.
»Vor langer, langer Zeit«, fuhr sie endlich fort, »bevor ich zur Welt gekommen bin... ist er als junger Mann in eine Schlägerei verwickelt worden, bei der es einen Toten gegeben hat. Aber damals war er ein wilder Bursche - und dazu noch betrunken. Jetzt ist er ein alter Mann. Er trinkt nicht mehr. Schon seit Jahren nicht mehr.«
Das war nichts, worüber man hätte streiten können. Statt dessen sagte der Lieutenant: »Wie man hört, verweigert Pinto jegliche Aussage. Er redet nicht mal mit seiner Anwältin.«
Mrs. Keeyani sah wieder auf ihre Hände. »Das war nicht seine Waffe«, stellte sie fest. »Mein Onkel hat ein altes ein-schüssiges Kleinkalibergewehr. Es hängt in seinem Hogan.«
Leaphorn äußerte sich nicht gleich dazu. Das war interessant. Die bei Pinto sichergestellte Waffe war ein Ruger-Revolver - ein teures Modell, dessen Besitz man einem Mann wie Pinto eigentlich nicht zutraute. Andererseits gab es Tausende von Möglichkeiten, wie diese Waffe in seinen Besitz gelangt sein konnte.
»Vielleicht haben Sie nichts von diesem Revolver gewußt«, meinte Leaphorn.
Diesmal war Mrs. Keeyani sichtlich überrascht. »Er ist der Bruder meiner Mutter«, stellte sie fest. »Er hat nie geheiratet. Sein Hogan steht auf dem Farmgelände unserer Großmutter hinter dem Yon Dot Mountain.«
Weitere Erklärungen waren überflüssig. Hätte Ashie Pinto einen teuren Revolver Marke Ruger besessen, hätten seine Verwandten davon gewußt. Leaphorn blätterte erneut in dem FBI-Bericht und suchte den Namen des Mannes, der die Ermittlungen geführt hatte. Agent Theodore Rostik.
Da er diesen Namen noch nie gehört hatte, mußte Rostik in der FBI-Außenstelle Gallup neu sein - entweder war er ein Greenhorn von der FBI Academy oder ein älterer Agent, der in Ungnade gefallen und dorthin verbannt worden war. Karrieretypen wurden nicht nach Fargo, Gallup, Farmington oder in andere Nester versetzt, die in den Augen der FBI-Hierarchie als sibirisch galten. Das waren Posten für neue Männer ohne Beziehungen oder für Agenten, die ins Fettnäpfchen getreten waren - vielleicht indem sie das FBI in den Medien in Verruf gebracht hatten (eine Todsünde für jeden Agenten) oder durch Ansätze origineller Ideen aufgefallen waren.
Für Leaphorn war der springende Punkt, daß Rostik ungewöhnlich dumm oder ungewöhnlich schlau sein konnte. Beides konnte seine Verbannung in die Einöde bewirkt haben. Aber höchstwahrscheinlich war er nur ein grüner Junge. »Okay, ich will Ihnen sagen, was Sie meiner Meinung nach tun sollten«, erklärte er Mrs. Keeyani, ohne von dem Bericht aufzusehen. »Hosteen Pinto hat eine Anwältin, die vielleicht unerfahren, aber bestimmt clever ist. Der Federal Public Defender stellt nur die besten Leute ein. Arbeiten Sie mit ihr zusammen. Erzählen Sie ihr von den Ungereimtheiten, die Ihnen Sorgen machen. Sie schickt dann einen der Ermittler los, damit er Nachforschungen anstellt. Einen davon kenne ich persönlich; ich weiß, daß er ein sehr guter Mann ist. Mit diesen Leuten sollten Sie zusammenarbeiten.«
Leaphorn las weiter, ohne den Kopf zu heben, und wartete auf eine Antwort. Er hörte, wie Mrs. Keeyani sich auf ihrem Stuhl bewegte. Aber danach hörte er Dr. Bourebonettes Stimme. »Sind die beiden Navajos?« fragte sie. »Würden Sie verstehen, daß Hosteen Pintos Familie ganz sicher davon gewußt hätte, wenn dieser Revolver sein Eigentum wäre?«
»Vielleicht nicht«, antwortete der Lieutenant. Er blickte nicht auf, weil er sich seinen Unmut nicht anmerken lassen wollte. Mrs. Keeyani konnte er ertragen. Er respektierte die Gründe für ihre Anwesenheit - obwohl sie dadurch seine und ihre Zeit vergeudete. Professor Bourebonette war ein anderer Fall. Aber er mußte zugeben, daß sie eine scharfsinnige Frage gestellt hatte.
»Wahrscheinlich würden sie das nicht verstehen«, gab Leaphorn zu.
Dann blätterte er in dem Bericht und suchte nach einer Erklärung dafür, wie Ashie Pinto von seinem Wohnort hinter dem Yon Dot Mountain zur Navajo Route 33 südlich von Shiprock in New Mexico gekommen war. Immerhin eine Entfernung von etwas über zweihundert Meilen. In dem Bericht stand nichts über ein verlassen aufgefundenes Fahrzeug. Dr. Bourebonette räusperte sich höflich. »Steht in diesem Bericht auch, wie
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