Der Kojote wartet
Hosteen Pinto nach New Mexico gekommen ist?«
»Danach habe ich eben gesucht«, sagte Leaphorn. Er blickte zu ihr hinüber. »Wissen Sie die Antwort?«
»Irgend jemand ist vorbeigekommen und hat ihn abgeholt«, antwortete sie.
»Wer?«
Die Professorin nickte Mrs. Keeyani aufmunternd zu. »Ich weiß nicht, wer es war«, sagte Mrs. Keeyani, »aber ich weiß, daß ihn jemand abgeholt hat. Ich war im Laden, um Petroleum für die Lampen zu kaufen. Und mein Mann, der hat unsere Schafe geweidet. Wir waren alle unterwegs - bis auf meine jüngste Tochter. Sie ist mit dem Schulbus heimgekommen und wollte ihr Pferd holen, um bei den Schafen zu helfen, als sie den Staub gesehen hat, den der Wagen aufgewirbelt hat.«
»Aber es war nicht Pintos Wagen?«
Mrs. Keeyani lachte. »Seine Kiste fährt schon lange nicht mehr!« sagte sie. »In der schlafen jetzt die Hühner.« Ihre Belustigung schwand so rasch, wie sie gekommen war. »Sie war mit ihrem Pferd hoch oben auf dem Hügel und hat bloß die Staubwolke und ganz kurz einen Wagen gesehen, der aus der Richtung von Pintos Hütte kam. Der Weg führt am Hogan meiner Mutter und an unserem Haus vorbei und nach Twenty-nine Mile Canyon und zum Handelsposten in Cedar Ridge. Sie sagt, daß der Wagen ein helles Pickup gewesen sein könnte -aber vielleicht war er auch nur staubig.«
»Wann war das?«
»Am Abend vor Hosteen Pintos Verhaftung drüben in New Mexico.«
Leaphorn blätterte erneut in der Akte. Er fand keinerlei Hinweis auf die Umstände, die ihm gerade auseinandergesetzt worden waren.
» War ein Polizeibeamter bei Ihnen, um mit Ihnen zu reden? «
»Ein junger Weißer«, antwortete Mary Keeyani. »Mit kleinen Flecken im Gesicht. Und ein Navajo, der für ihn übersetzt hat.«
Sommersprossen, dachte der Lieutenant. Ein Volk, bei dem keine auftreten, kennt kein Wort für sie. »Was wollten sie wissen? «
»Sie haben nach dem Revolver gefragt. Sie haben gefragt, was Hosteen Pinto drüben in New Mexico zu suchen hatte. Woher er den Revolver hatte. Wie er zu den beiden Fünfzigdollarscheinen in seiner Tasche gekommen war. Ob er Delbert Nez gekannt habe - den Mann, den er erschossen haben soll.
Sie haben Fragen gestellt, als hielten sie Hosteen Pinto für einen Alkoholschmuggler. Zum Beispiel: Wie hat Pinto sich benommen, wenn er betrunken war? Hat er dann Streit gesucht? Wovon hat er gelebt? Hat er heimlich Schnaps gebrannt?«
Mrs. Keeyani hatte bisher ihre Hände angestarrt. Nun sah sie auf. »Anscheinend haben sie ihn wirklich für einen Alkoholschmuggler oder Schwarzbrenner gehalten.« Sie schüttelte den Kopf.
»Was haben Sie geantwortet?«
»Ich habe gesagt, daß die hundert Dollar sein Honorar gewesen sein könnten. Von dem Mann, der ihn abgeholt hat.«
»Honorar?«
»Er hat seine Kristalle bei sich gehabt«, sagte Mary Keeyani. »In jüngeren Jahren hat er davon gelebt, daß er Sachen für Leute gefunden hat. Als ich ein kleines Mädchen war, sind sie von Tuba City und sogar aus Leupp und Kayenta zu ihm gekommen. Damals war er so etwas wie eine Berühmtheit.«
»Er ist also Hellseher gewesen«, sagte Leaphorn. Er beugte sich nach vorn. Falls Ashie Pinto noch immer als Schamane arbeitete, steckte hinter dieser Sache vielleicht noch mehr als ein weiterer sinnloser, im Vollrausch verübter Mord oder Totschlag. »War er denn noch aktiv auf diesem Gebiet?«
»Nicht mehr oft.« Mary Keeyani dachte darüber nach. »Vergangenes Jahr hat er das Pferd eines Mannes aus Copper Mine gefunden und ein bißchen für einen Weißen gearbeitet. Und er hat mit Dr. Bourebonette zusammengearbeitet.« Sie nickte zu der Professorin hinüber. »Das ist eigentlich alles, was ich darüber weiß.«
»Was hatte der Weiße verloren?«
»Er war auf der Suche nach alten Geschichten, glaub' ich.« Leaphorn wußte nicht recht, was sie damit meinte. Er wartete auf eine Erklärung, die jedoch ausblieb.
»Sind Wissenschaftler zu Hosteen Pinto gekommen, um sich Märchen und Sagen erzählen zu lassen? Wie Professor Bourebonette?«
»Ja. Früher sogar sehr häufig. In letzter Zeit nicht mehr so oft. Die meisten Geschichten hat er von Narbona Begay gehört. Vom Bruder seiner Mutter.«
»Glauben Sie, daß er am Tag vor der Schießerei von diesem Weißen auf der Suche nach alten Geschichten abgeholt worden ist?«
Mrs. Keeyani schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wer es gewesen ist. Vielleicht.«
Vielleicht auch nicht, dachte Leaphorn. Und was würde das auch nützen? In Gedanken beschäftigten
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