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Der Kojote wartet

Der Kojote wartet

Titel: Der Kojote wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Hillerman
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ihr direkt in die Augen. Und sah was? Ärger? Enttäuschung?
    Er blätterte weiter. Die Frage, die seinen Besucherinnen und ihm so logisch erschienen war, hatte Agent Rostik offenbar weit weniger interessiert. Sie war einfach ignoriert worden. Nun, vielleicht gab es irgendeine unkomplizierte, irrelevante Antwort.
    Eigentlich hatte er den ganz hinten eingehefteten braunen Umschlag mit Fotos nicht beachten wollen. Das waren sicher keine Bilder, die man sich gern in Gegenwart von Frauen ansah. Aber jetzt war er neugierig. Er ließ den Stapel aus dem Umschlag auf die Schreibtischplatte gleiten.
    Der tote Delbert Nez neben dem ausgebrannten Streifenwagen. Noch einmal der Streifenwagen mit Chees Feuerlöscher. Der wie neu glänzende Revolver. Ein halbes Dutzend bei Licht gemachte Aufnahmen des Tatorts mit einem häßlichen, zerklüfteten Basaltkegel, der im Hintergrund aus der Prärie aufragte, einer Schnapsflasche, einem Taschenmesser und sonstigen Kleinigkeiten, die der Polizeifotograf - oder der Leiter der Ermittlungen - für wichtig gehalten hatte.
    Wichtig. Leaphorn griff nach der Aufnahme von der Flasche. Eine typische Scotchflasche, die sich von den meisten anderen nur durch ihren Preis unterschied. Er setzte seine Lesebrille auf und studierte das Flaschenetikett.

    Der Lieutenant drehte das Photo um. Ein Aufkleber auf der Rückseite bestätigte, daß dies die Flasche war, die Ashie Pinto dabeigehabt hatte, als er von Officer Chee festgenommen worden war.  Inhalt 1 Liter,  war dazu vermerkt,  ungefähr zu 5/6 geleert.
    Scotch. Teurer Scotch.
    »Mrs. Keeyani«, fragte Leaphorn, »wissen Sie, was Hosteen Pinto am liebsten trinkt? Wein? Whiskey?«
    Mary Keeyanis Gesichtsausdruck zeigte, daß sie sich über seine Frage ärgerte. »Er trinkt keinen Alkohol«, sagte sie.
    »In der besagten Nacht muß er etwas getrunken haben«, sagte Leaphorn. »Es wurde eine Blutprobe gemacht.«
    »Früher hat er manchmal getrunken«, gab Mrs. Keeyani zu. »Aber nur gelegentlich. Er hat immer gesagt, wenn er auch nur einen Tropfen trinke, könne er nicht mehr aufhören. Und wenn er nach langer Zeit mal wieder getrunken hat, mußte anschließend jemand nach Flagstaff oder Winslow oder sonstwohin fahren, um ihn aus dem Gefängnis zu holen. Danach war er dann wieder monatelang trocken. Bei seiner letzten Sauftour vor vier, Fünfjahren ist er in Flagstaff im Gefängnis krank geworden. Er mußte ins Krankenhaus, und der Arzt hat ihn gewarnt, daß ihn der Alkohol umbringen würde. Seitdem ...« Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. »Und seitdem hat er keinen Tropfen mehr angerührt.«
    »Aber was hat er bevorzugt, wenn er mal getrunken hat?« Mrs. Keeyani zuckte mit den Schultern. »Wein«, sagte sie. »Alles, was billig war.«
    »Wie steht's mit Scotch?«
    Mary Keeyani runzelte die Stirn. »Ist der süß?«
    »Nein. Teuer und recht stark, aber nicht süß. Wie kommen Sie darauf?« fragte der Lieutenant.
    Mrs. Keeyani lächelte, während sie sich an ihre Kindheit erinnerte. »Mein Onkel hat immer gern Süßes gegessen«, sagte sie. »Wegen seiner Vorliebe für Süßigkeiten hatte er bei uns den Spitznamen >Zuckermann<. Wenn er mit seinem Pik-kup zu uns kam, rief meine Mutter immer: >Beeilt euch, Kinder, versteckt meinen frischgebackenen Kuchen! Versteckt die Süßigkeiten! Versteckt den Zuckersack! Da kommt mein Bruder, der Zuckermann!«< Sie kicherte bei der Erinnerung daran vor sich hin. Damit ihre Mutter nicht etwa falsch eingeschätzt wurde, fügte sie hastig hinzu: »Sie hat ihm immer ein Stück Kuchen gegeben.«
    »Aber Sie wissen nicht, ob er Scotch getrunken hat?«
    »Wenn der süß ist, dann ja. Und wenn er billig ist.« Leaphorn betrachtete die Aufnahme mit der Flasche. Ihr Inhalt war ganz bestimmt nicht billig gewesen. Der Lieutenant seufzte. Nach jahrzehntelanger Polizeiarbeit kannte er sich gut genug, um zu wissen, daß er diese klar auf der Hand liegenden Widersprüche nicht so ohne weiteres hinnehmen würde. Ihn hatte interessiert, wie es möglich gewesen war, daß Pinto ohne eigenes Transportmittel über zweihundert Meilen von seinem Wohnort entfernt hatte aufgegriffen werden können. Aber das ließ sich durch eine Fahrt per Anhalter erklären. Keine vergleichbar einfache Erklärung fiel ihm für diese Flasche Scotch ein. Oder für die beiden Fünfzigdollarscheine. Oder für den teuren Revolver.
    Leaphorn stand auf.
    »Ladies«, sagte er, »ich sehe mal zu, was ich herauskriegen kann.«
    DEWARS WHITE LABEL

4  
    Jim

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