Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi
das
gegeben. Nun hatte Birnbaum allein den Schaden, und fünfzig Meter um die Linde
war der Boden versengt.
Mit der Kettensäge
entfernte er die rußgeschwärzten Äste und sägte den Stamm bis auf eine Höhe von
einem halben Meter ab. Das war eine höllische Arbeit, und sein Gesicht und
seine Hände waren bald so schwarz wie das Holz. Birnbaum biss die Zähne
zusammen und bearbeitete die Ausläufer der dicken Wurzeln mit dem Spaten, um
die hartnäckigen Fasern nachgiebiger zu machen. Er kratzte steinharte Erde weg
und befestigte ein weiteres Mal das Abschleppseil am Stumpf. Ein Versuch noch.
Wenn es dann nicht gelang, würde er sich Sprengstoff besorgen und das verdammte
Ding in die Luft jagen!
Das andere Ende des
Seils hing noch hinten am Traktor. Ein großer alter Deutz, der seine Arbeit
normalerweise so zuverlässig tat wie ein treuer Ackergaul. Nur diesmal schienen
seine Kräfte nicht auszureichen. Die Linde war aber auch ein gewaltiger
Brocken.
Birnbaum kletterte
wieder auf den Sitz und ließ den Motor an, zog ganz langsam. Der Traktor
ächzte. Die Plastikfasern des Seils knirschten. Wenn es riss und ihm um die
Ohren knallte, wäre sein letztes Stündlein gekommen.
»Heilige Mutter
Gottes!«, stöhnte Birnbaum.
Und der Baumstumpf gab
nach. Die Wurzeln begannen sich zu lockern, und wenn Birnbaum nicht beide Hände
fest am Lenkrad gehalten hätte, damit der Traktor keinen unvorhergesehenen Satz
machte, hätte er sich in diesem Augenblick bekreuzigt. Zentimeter für
Zentimeter hob sich der schwarz verkohlte Stumpf. Der alte Deutz hatte gesiegt.
Im Wurzelwerk der riesigen Linde hingen Erdklumpen von mindestens einer halben
Tonne. Birnbaum stellte den Motor ab. Er schüttete sich den Rest aus der
Wasserflasche über den Kopf, sprang wieder hinab auf die harte Erde und machte
sich querfeldein auf den Weg zu seinem Hof, der sich auf der anderen Seite der
Anhöhe befand und wo die Maria sicher schon mit dem Essen auf ihn wartete.
2
Es war genau zwölf Uhr
zehn, als Monika Schwalbe auf den Messinstrumenten ein Ereignis wahrnahm. Der
Zeiger des Seismografen, der auch leichteste Erschütterungen in den oberen und
mittleren Bodenschichten aufzeichnete, schlug plötzlich so heftig aus, dass die
Spitze über die vorgesehene Aufzeichnungsbreite hinausging. Gleichzeitig begann
die Spule des Transformators zu summen, bis sie mit einem Zischen zerschmolz.
Monika riss die Augen
auf, denn so etwas hatte sie noch nicht erlebt. Für gewöhnlich passierte in der
alten Holzhütte, wo sich seit einigen Semestern die provisorische Außenstation
des Geologischen Instituts der Universität München befand, überhaupt nichts.
Für die Studenten, die sich mit der Tektonik der Bodenschichten im Alpenvorland
sowie dem Zusammenhang zwischen gravimetrischen Anomalien und dem vermehrten
Vorhandensein von Brekzien und Sphärulen in einer bestimmten Tiefe befassten,
war es eher ein notwendiges Übel, turnusmäßig zweimal die Woche Richtung
Chiemsee zu fahren, Papierrollen auszuwechseln und die Geräte zu überprüfen.
Und ausgerechnet jetzt musste es knallen!
Monika Schwalbe, die ihr
Geologiestudium im vergangenen Herbst abgeschlossen hatte und nun als Doktorandin
das Projekt betreute, schüttelte ungläubig den Kopf. Das Elektrokabel, das die
Geräte über einen Mehrfachstecker mit einem mobilen Stromerzeuger verband, war
richtiggehend verschmort, angekokelt wie auf einer Herdplatte.
»So ein Mist«, murmelte
sie. »Und jetzt?«
Sie kramte ihr Handy aus
der Tasche. Kein Netz. Auch das noch. Dabei war sonst der Empfang hier draußen
ganz gut. Lag es daran, dass sich ein Gewitter zusammenbraute? Das Blau des
Himmels wurde immer dunkler, die Luft knisterte förmlich vor Elektrizität. Das
geschmolzene Kabel stank nach Gummi. Was hatte den Kurzschluss ausgelöst? Am
besten war es wohl, alle Kabel und Stecker zu ziehen und bei nächster
Gelegenheit mit dem Techniker anzurücken, der die Anlage reparierte. Bis dahin
war Vorsicht geboten. Wenn der Generator von selbst wieder ansprang, würden die
defekten Geräte am Ende noch die Hütte in Brand setzen.
Die junge
Wissenschaftlerin holte die Papierrolle aus dem Seismografen und verpackte sie
in eine Plastiktüte. Dann hatten die anderen etwas zum Rätselraten. Der
Ausschlag war rekordverdächtig, spitz wie eine Nadel. Zusammen mit ihren Heften
und der Strickjacke stopfte sie die Tüte in eine große Umhängetasche. Draußen
herrschte eine merkwürdige Ruhe. Die Grillen hatten aufgehört zu
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