Der Komet
in die Tasche gesteckt, da kam schon der Bus, der ihn und die anderen Mondtouristen abholte und zur Startbahn des Mondfliegers fuhr, einem hellen Band aus Beton, das sich an der Donau entlangzog; sein Ende verlor sich irgendwo da hinten in der flirrenden Ferne. Diese Startbahn wareine eigene Attraktion – übertroffen wurde sie eigentlich nur noch von dem Weltraumgefährt, das dort in der Sommerhitze stand und wartete.
Der Mondflieger war wunderschön. Er war von oben bis unten, von vorn bis hinten in einem matten Dunkelblau lackiert und mit goldenen Sternen übersprenkelt; auf seiner Heckflosse sah Dudu groß und stolz das kaiserlich-königliche Wappen prangen. Der Mondflieger war aber nicht nur schön, er war auch riesig – so hoch wie ein dreistöckiges Haus. Wer neben ihm stand, der mochte sich vielleicht wundern, warum dieses Vehikel nur Platz für fünfzig Passagiere bot – aber den meisten Raum nahm hier naturgemäß der Treibstoff ein. Außerdem transportierte der Mondflieger nicht nur Passagiere, sondern nahm auch Lasten mit, denn beinahe alles Lebensnotwendige musste in die Mondstadt eingeführt werden (außer Wasser, das auf dem Mond in Form von Eis unter dem Staub lagerte, und Atemluft, die von den Kolonisten mithilfe von riesigen Algentanks längst selbst hergestellt wurde). Der Mondflieger sah im Grunde wie ein fantastisch überdimensioniertes Flugzeug aus – allerdings kulminierte er am hinteren Ende in den vier gigantischen Düsen seiner Raketentriebwerke; und während die Passagiere ein normales Flugzeug von der Seite her bestiegen, war hier am hinteren Ende eine Treppe herangefahren worden, sodass die Passagiere den Mondflieger nun betraten, indem sie (dies rief bei Dudu einen kurzen Moment des Unbehagens hervor: was, wenn die Raketenmotoren jetzt plötzlich feurig fauchend ansprangen?) zwischen den hausgroßen Düsen hindurch an Bord stiegen.
Drinnen gab es keine Abstufungen des Luxus, sondern nur eine einzige (und sehr komfortable) Klasse. Die fünfzig Sitze waren alle gleich breit und weich, boten genugBeinfreiheit und konnten im Handumdrehen in Liegen umgewandelt werden; alles andere wäre freilich auch unvertretbar gewesen, denn wenn das Sonnenlicht, das vom Mond gespiegelt wurde, auch nur eine Sekunde brauchte, ehe es die Erde erreichte, dauerte ein Mondflug doch immer noch seine 38 Stunden.
Während die vier Mondflugassistentinnen (leider war keine einzige hübsche darunter) ihr vorschriftsmäßiges Sprüchlein von der Sicherheit im Weltraum aufsagten und abkassierten, klappte Dudu Gottlieb müde seine Augendeckel zu. Seine Gedanken wanderten durch das Labyrinth seiner Kindheitserinnerungen, bis ihm irgendwann Jules Verne einfiel. Er dachte an die zwei rostrot eingebundenen Bände, die er als Kind bei seinem Großvater entdeckt hatte – jetzt zierten sie seine eigene Bibliothek: »Von der Erde zum Mond« und »Reise zum Mond«. Mit heißem jugendlichem Lesehunger hatte Dudu die Geschichte des tapferen Franzosen Michel Ardan verschlungen, der sich im Inneren eines hohlen Projektils einschließen und von einer Kanone auf den Mond schießen ließ. Den größten Eindruck auf Dudu hatten seinerzeit die Illustrationen gemacht: Stiche von Herren mit altertümlichen Bärten, Visionen von Eisenbahn-Projektilen, die im Verbund zum Mond katapultiert wurden, Zukunftsträume aus genietetem Stahl. Die physikalische Unmöglichkeit dessen, was der wunderbare Jules Verne da schilderte, hatte seine jugendliche Leselust nicht im Geringsten gebremst: denn selbstverständlich hätte Michel Ardan einen solchen Schuss niemals überlebt, er wäre vom Rückstoß am Boden seines Gefährts zerquetscht worden. Die Unwahrscheinlichkeit, die am lautesten zum Himmel schrie, war aber, dass Jules Verne seinen Mondflug in Florida starten ließ. Ausgerechnet. Lächerlich! Was gab es denn in Florida außer Sümpfen und Alligatoren?
Dudu Gottlieb hielt die Augen auch noch geschlossen, als der Mondflieger tief von innen heraus zu beben begann und mit einem schrecklichen Zittern seine Flugzeugmotoren ansprangen; er öffnete seine Augen nicht, als der Flieger die Startbahn entlangraste und raste und immer weiter raste, sein Rasen in der Horizontalen währte minutenlang, es wollte schier kein Ende nehmen. Und genau da – im selben Moment, als allen an Bord die Vorstellung, dieser Walfisch aus Blech könnte jemals die Erde verlassen, schon völlig absurd vorkam –, genau da kippte der Mondflieger mit einem Mal schräg nach
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