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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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Mindesten mit der republikanischen Staatsform verknüpft! (Dies hatte Dudu Gottlieb im Stillen gedacht, während er im Frack an seinem Orangensaft nippte.) Was, bitte, wäre das viktorianische Zeitalter ohne Benjamin Disraeli gewesen? War unter Elisabeth II . nicht in den frühen Sechzigerjahren ein Sikh aus dem Pandschab, ein Gentleman namens Tripat Batra Singh, zum Premierminister gewählt worden? (Nicht umsonst führte die Königin von Großbritannien und Irland auch den gewaltigen Titel: Empress of India, also »Kaiserin von Indien«.) Bei der republikanischen Staatsform, davon war Dudu tiefinnerst überzeugt, handelte es sich um alles andere als einen Normalzustand. Sie war ungefähr so natürlich wie die eiserne Konstruktion des M. Eiffel auf dem Marsfeld. Irgendwann (das hätte Dudu aber nie laut ausgesprochen) würde auch Frankreich den Weg zurück zur konstitutionellen Monarchie finden. Ewig konnte diese Troisième République ja nicht dauern.
    Nach ihrem Besuch in Paris war Familie Gottlieb noch schnell über die deutsche Grenze ins Elsass hinübergefahren. Dudus Bruder Jankel – das jüngste seiner Geschwister – hatte erst vor Kurzem in Straßburg ein jüdisches Mädchen geheiratet (während seine drei Schwestern über die gesamte Donaumonarchie verstreut wohnten: Dina in Raab, Mimi in Klausenburg, Judith in Brünn). Jankel, der Jüngste – er war erst 43 – sah ganz anders aus als Dudu; aufden ersten Blick wäre man kaum darauf gekommen, dass es sich bei ihnen um Geschwister handelte. Jankel hatte karottenrote Haare, dunkle Augen und einen Sattel von Sommersprossen auf dem Nasenrücken; im Unterschied zu Dudu rasierte er sich glatt und trug am liebsten grobe Seemannshosen und offene Baumwollhemden. Gerade eben hatte er einen Lehrauftrag für Zeitgeschichte an der Straßburger Universität ergattert. Seine Frau, die Tinla hieß, eine schmalgesichtig-zierliche Blondine mit flottem Mundwerk, arbeitete als Chirurgin an der Kaiser-Wilhelm-Klinik. Die deutsche Reichsregierung, so hatte Jankel ihnen beim Abendessen in einem kleinen koscheren Lokal erklärt, verfolgte gegenüber dem Elsass eine sehr umsichtige Politik. Schon Friedrich IV . hatte begriffen, dass die Elsässer im Grunde weder Deutsche noch Franzosen werden, sondern Elsässer bleiben wollten; und so hatten er ihnen weitgehende Autonomie zugestanden. Das fiel allerdings insofern nicht schwer, als die Pässe im Kaiserreich noch nie die Staatsangehörigkeit »deutsch« ausgewiesen hatten; stattdessen stand dort »preußisch« oder »bayerisch« oder »sächsisch«. Vor einem halben Jahrhundert war als weitere Kategorie halt »elsässisch« dazugekommen. Am Schabbes ging Dudu mit seiner Familie spazieren; sie hatten die Fachwerkhäuser im Gerberviertel bewundert, die sich still und schön in der Ill spiegelten, auch den vielleicht eine Spur zu protzig geratenen Kaiserpalast …
    So etwas konnte Amerika nicht bieten. Amerika war leider nicht nur eine Republik, sondern außerdem kulturlos. Auch einen Mondflug hatten die Amerikaner nie zustande gebracht. Dudu blickte kurz aus dem Kabinenfenster: Blau, sehr viel Blau. Sie rasten immer noch über dem Atlantischen Ozean dahin.
    Dudu Gottlieb gähnte laut, während er überlegte: Amschwersten wog vielleicht, dass sie dort drüben nichts hatten, was es mit den Rosenhügelstudios in Hietzing aufnehmen konnte. Keine Sascha-Filmindustrie!
Hinweis
Das bedeutete auch: keinen Samuel Wilder, keinen Walter A. Königstein, keine Romy Schneider, keinen Christoph Waltz, keinen Arnold Schwarzenegger, noch nicht einmal einen Szczepan Szpilberg … da konnte man halt nichts machen. Wo es nichts gab, da war auch nichts zu holen. Trotzdem: Amerika – Dudu wäre gern einmal hingeflogen, nur so … just als er das dachte, knackte es in den Lautsprechern, und der Flugkapitän gab bekannt, man werde in den nächsten Sekunden die Raketentriebwerke zünden.
    Seltsamerweise verspürte Dudu Gottlieb in diesem Moment keine Panik. Seine Flugangst war (wenn man das so sagen kann) ihrerseits verflogen; vielleicht deshalb, weil sie sich vor allem darauf gerichtet hatte, dass er den Boden unter den Füßen verlor – und diese Kalamität hatte er ja schon glücklich hinter sich gebracht. Jetzt, so meinte er, war das Schlimmste vorüber, und er beschloss, diesen Augenblick auszukosten. Es wird ernst, dachte er beinahe fröhlich. Technisch gesehen passierte Folgendes: Der Flugkapitän stellte den Mondflieger senkrecht, sodass er mit der

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