Der Kommandant und das Mädchen
Handtuch, das ich eben zusammenfalten wollte. “Tatsächlich? Mit wem?”
“Mit Jozef. Er war der junge Mann, der dich aus dem Ghetto herbrachte.”
Ich rufe mir sein Gesicht ins Gedächtnis. Bis heute kannte ich nicht seinen Namen. “Sagte er etwas über …”
“Ich habe ihn als Erstes nach Jakub gefragt”, unterbricht sie mich sanft. “Er weiß auch nicht mehr als wir. Es tut mir leid.”
“Oh”, mache ich entmutigt.
“Aber die guten Neuigkeiten sind die, dass ich ihn dazu überreden konnte, dich aus Kraków wegzubringen. Er glaubt, er kann in der letzten Märzwoche etwas für dich arrangieren. Glaubst du, bis dahin kannst du noch durchhalten?”
Ich zögere und rechne nach. Drei Wochen. Drei weitere Wochen, in denen ich so tun muss, als sei alles in Ordnung, und nur beten kann, dass der Kommandant nicht hinter mein Geheimnis kommt. Meine Gedanken kehren zurück zu Malgorzata. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet, überlege ich nun, und sie hat in Wahrheit gar nichts bemerkt. Seit diesem Morgen haben wir kein Wort mehr miteinander gesprochen, und ich mache immer einen großen Bogen um sie, indem ich vor ihr ins Büro komme und erst Feierabend mache, wenn ich weiß, dass sie gegangen ist. Ich möchte eine weitere Konfrontation lieber vermeiden. Oder aber sie weiß es, wird es jedoch dem Kommandanten nicht sagen. Nein, dieser Gedanke ist nun wirklich so abwegig, dass er mich in die Realität zurückholt. Ich habe ihr erstauntes Gesicht gesehen, gefolgt von einem überheblichen, siegessicheren Lächeln. Sie kennt mein Geheimnis, und nun lauert sie wie eine Katze, die auf den besten Moment zum Zuschlagen wartet. Ich bin mir sicher, sie hätte es dem Kommandanten längst erzählt, würde der nicht schon die ganze Woche von einer Besprechung zur nächsten hetzen.
“Emma …”, höre ich Krysia sagen. “Hörst du mir überhaupt zu?”
Ich antworte nicht sofort. Es wäre besser gewesen, Krysia von meiner unerfreulichen Begegnung mit Malgorzata zu erzählen. Ich habe es aus zwei Gründen nicht getan: Zum einen will ich sie nicht noch weiter beunruhigen, zum anderen schäme ich mich, so nachlässig gewesen zu sein, gleich am ersten Tag aufzufallen. Ich habe keine Ahnung, wie ich es ihr jetzt noch beibringen soll. Es bringt mich in Verlegenheit, etwas vor ihr verheimlicht zu haben, was sie hätte erfahren müssen. “Ich höre dir zu”, erwidere ich schließlich.
“Kannst du noch drei Wochen durchhalten?”
Ich muss schlucken, als ich ihre Frage höre. “Ich glaube ja.”
“Gut. Das dürfte ohnehin der ideale Zeitpunkt sein. Hoffentlich ist das Wetter bis dahin besser, und dein Bauch noch nicht allzu sichtbar. Jozef kann dann eine Begleitung für dich arrangieren.”
Ihre Worte lassen mich aufschrecken. Eine Begleitung bedeutet, dass ich mich nicht mit Jakub auf den Weg machen werde. Ich will Krysia fragen, halte mich dann aber zurück. Sie sagte bereits, dass es keine Neuigkeiten von ihm gibt, und ich will nicht undankbar erscheinen. “Was wird aus dir und Łukasz?”, frage ich stattdessen. Verständnislos legt sie den Kopf schräg. “Ich will damit sagen, wenn ich von hier weggehe, dann wird man dir Fragen stellen. Vor allem der Kommandant wird wissen wollen, wo ich bin.”
“Das habe ich mir natürlich schon durch den Kopf gehen lassen. Falls ich hierbleibe, kann ich Ausreden vorbringen. Zum Beispiel, dass du irgendeinen Verwandten besuchst.”
Energisch schüttele ich den Kopf. Er wird niemals glauben, dass ich fortgehe, ohne mich von ihm zu verabschieden. “Aber Krysia, wenn ich weg bin, wird es hier nicht mehr sicher sein. Sobald der Kommandant durchschaut, was los ist, wird er Maßnahmen ergreifen”, rede ich auf sie ein. “Ich kann euch zwei nicht einem solchen Risiko ausliefern.”
“Das Risiko müssen wir eingehen. Wir können nicht alle gleichzeitig spurlos verschwinden. Das wäre zu schwierig, weil du nicht mit einer alten Frau und einem kleinen Kind durch die Wälder fliehen kannst. Und würden wir gemeinsam im Zug reisen, dann wäre das viel zu auffällig.”
Verzweifelt suche ich nach einem Gegenargument, doch mir will nichts einfallen, weil Krysia völlig recht hat.
“Außerdem kann ich nicht weg von hier. Ich bin eine alte Frau, hier ist mein Zuhause.”
Das lässt mich an all die alten Menschen denken, die von den Deutschen aus ihrem Zuhause verschleppt wurden. Ihnen ließ niemand die Wahl, ob sie fortgehen oder bleiben wollten, was Krysias Bemerkung
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