Der Kommandant und das Mädchen
unglaublich arrogant klingen lässt. Allerdings weiß ich, dass sie vor allem immer das tut, was für uns alle das Beste ist. Wäre es das Beste, wenn auch sie von hier fortginge, dann hätte sie im Handumdrehen ihre Sachen gepackt und die Tür hinter sich zugezogen.
Ich gehe zu dem Sessel, in dem sie sitzt, und will wenigstens noch einen Versuch unternehmen. Ich knie mich hin und nehme ihre Hand. “Krysia, komm mit mir”, flehe ich sie an, doch sie schüttelt den Kopf. Jede weitere Diskussion über das Thema erübrigt sich damit. “Was ist mit Łukasz?”, will ich wissen. “Er sollte nicht hier sein, wenn die Gestapo herkommt und auf der Suche nach mir das Haus auf den Kopf stellt.”
Diesmal antwortet sie nicht sofort, und ich sehe ihr an, wie sie über meine Worte nachdenkt. Es ist ein wahres Dilemma. Es ist kaum abzusehen, was riskanter ist: Łukasz hierzulassen und der Willkür der Gestapo auszusetzen oder ihn mitzunehmen und Gefahr zu laufen, dass er mit mir zusammen bei unserem Fluchtversuch festgenommen wird.
“Wenn du den Jungen mitnimmst, wirst du langsamer vorankommen”, entgegnet sie schließlich. “Das wäre riskanter.”
“Das bekomme ich schon hin”, beteuere ich.
“Du kannst jetzt nicht mehr nur an dich denken. Du hast nun ein eigenes Kind.”
“Aber …” Ich will dagegenhalten, dass Łukasz für mich auch wie ein eigenes Kind ist, doch sie unterbricht mich.
“Lass uns nicht darüber streiten. Heute müssen wir keine Entscheidung treffen.”
“Einverstanden”, lenke ich ein, setze mich wieder aufs Sofa und greife nach dem Handtuch, das ich zusammenlegen wollte. Als ich einen Moment später den Kopf hebe, bemerke ich, dass Krysia aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit schaut. Den Berg Kleidung auf ihrem Schoß hat sie nicht angerührt. “Was ist los?”, frage ich.
Sie dreht sich zu mir um, und zum ersten Mal bemerke ich eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen. “Nach Marcins Tod war die Einsamkeit für mich unerträglich. Nach einer Weile gewöhnte ich mich daran, trotzdem war sie wie ein dumpfer Schmerz, der nie aufhören wollte. Bis zu dem Abend, an dem du herkamst.” Ihre Augen sind nun feucht. “Mir wird jetzt erst bewusst, wie sehr ich diese Zeit mit dir und Łukasz genossen habe. Und wie sehr du mir fehlen wirst, wenn du fort bist.”
“Ach, Krysia.” Ich gehe wieder zu ihr und lege einen Arm um ihre Schultern. Ich möchte ihr sagen, dass sich die Dinge nicht ändern werden, dass wir uns immer nah sein werden. Doch das kann ich nicht. Dass wir drei unter einem Dach leben, ist eine zufällige Gegebenheit, geboren aus Notwendigkeiten, die dem Ganzen bald wieder ein unvermeidliches Ende setzen werden.
“Er hat bereits zweimal nach Ihnen gefragt”, lässt mich Malgorzata in einem süffisanten Tonfall wissen, als ich am nächsten Morgen das Büro betrete. Überrascht sehe ich zur Uhr über ihrem Platz, da ich mich frage, ob ich zu spät bin. Aber die Uhr zeigt viertel vor acht, eine volle Viertelstunde vor meinem eigentlichen Arbeitsbeginn. Der Kommandant ist früh dran, und mir wird sogleich schlecht.
Bewahr die Ruhe
, sage ich mir, als ich das Vorzimmer betrete. Vermutlich hat er einfach nur viel Arbeit nachzuholen oder einen frühen Termin. Doch mir ist längst klar, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Der Kommandant ist in allen Dingen äußerst präzise, weshalb er auch jeden Morgen genau um acht Uhr das Haus verlässt und knapp eine Viertelstunde später im Büro ankommt. Dass er zu früh eintrifft, ist genauso undenkbar wie eine Verspätung.
Mein Herz rast, während ich meinen Mantel ablege und nach dem Notizblock greife. Die Tür zum Büro des Kommandanten steht einen Spalt offen, ich klopfe leise an. “Herr Kommandant?”, rufe ich. Es kommt keine Antwort, also rufe ich noch einmal nach ihm, diesmal etwas lauter.
“Herein.”
Ich mache die Tür weiter auf, um eintreten zu können. Der Kommandant steht am anderen Ende seines Büros und sieht aus dem Fenster. “Malgorzata sagte mir, Sie wollen mich sehen?” Ich drücke die Tür hinter mir ins Schloss.
“Ja, setz dich.” Ich nehme auf der äußersten Kante des Sofas Platz und halte Stift und Block bereit. Der Kommandant schaut nicht in meine Richtung, sondern hat den Blick weiter auf den Fluss gerichtet.
Ich hole tief Luft und kämpfe gegen den Wunsch an, aus dem Zimmer zu rennen. Eine weitere Minute vergeht, ohne dass er etwas sagt, dann noch eine. Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem ich
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