Der Kommandant und das Mädchen
und ich knie ganz allein auf dem kalten, harten Pflaster.
Vor Schreck wache ich auf. “Jakub?”, rufe ich. Ein paar Mal muss ich blinzeln, dann erkenne ich, dass ich nach wie vor in meinem Bett liege. Natürlich – es war ja auch nur ein Traum. Dennoch starre ich sekundenlang in die Dunkelheit, als wäre Jakub vielleicht doch bei mir gewesen. Er fehlt mir so sehr. Immer wieder jage ich ihm nach, aber nie hole ich ihn ein. Was, wenn er sich wirklich so sehr in seine Arbeit vertieft, dass ich längst in Vergessenheit geraten bin? Oder wenn er einer anderen Frau begegnet ist? Oder wenn … nein, ich kann nicht den schlimmsten aller Gedanken fortführen, ihm könnte etwas geschehen sein, sodass ich ihn nie wiedersehen werde. Ich drücke mein Gesicht ins Kissen, damit es meine Tränen aufnimmt.
Am nächsten Morgen klopft Krysia um sieben Uhr an meine Tür. Ich stehe auf und ziehe mich an. Als ich nach unten komme, sehe ich, dass sie Łukasz bereits gewaschen und gefüttert hat. Beim Anblick des Jungen zögere ich kurz. Ich hatte gehofft, ihm könnte der Kirchgang irgendwie erspart werden. Aber außer uns gibt es ja niemanden, der in dieser Zeit auf ihn aufpassen könnte. Ohne ein Wort zu sprechen, begeben wir uns zur Haltestelle für den Omnibus. Der Bus ist fast vollständig mit Bauern besetzt. Auch sie sind auf dem Weg zur Kirche, was ich an der Art, wie sie ihre Kleidung zu bügeln versucht haben, erkenne.
Während der holprigen Fahrt auf der kurvenreichen Straße starre ich aus dem Fenster und versuche so zu tun, als wären wir nur unterwegs, um ein paar Besorgungen zu machen. Doch ein Gedanke geht mir immer wieder durch den Kopf: Ich bin auf dem Weg zu einem christlichen Gottesdienst, gleich werde ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Kirche betreten. Als ich noch jünger war, kam ich oft an den Kirchen der Stadt vorbei, wenn die Menschen sich dort zur Messe versammelten. Ich schaute verstohlen durch die halb geöffneten Türen und sah immer nur Dunkelheit. Ich konnte mir nicht vorstellen, welche Geheimnisse sich hinter den imposanten Holztüren verbargen, sobald sie sich schlossen und nur noch leise Gesänge zu mir herausdrangen. Heute werde ich es erfahren. Im Geiste sehe ich meinen Vater, wie er mich enttäuscht anschaut, während meine Mutter ungläubig den Kopf schüttelt.
Am Rande der Planty verlassen wir den Bus. Łukasz geht zwischen uns, Krysia und ich halten ihn an der Hand. Wir überqueren den Platz, vor uns ragen die Türme der Marienkirche in den Himmel. Obwohl es in Kraków unzählige Kirchen gibt, wundert es mich nicht, dass Krysia die größte und beeindruckendste besucht. An der Tür zögere ich kurz. “Komm”, sagt Krysia, stellt sich zwischen mich und Łukasz und nimmt jeden von uns an die Hand. In der Kirche benötige ich einen Moment, bis ich mich an das dämmrige Licht gewöhnt habe. Die Luft ist hier anders, von den Steinmauern geht eine kühle Feuchtigkeit aus. Krysia bleibt stehen und lässt meine Hand los, um sich zu bekreuzigen. Mir entgeht nicht, wie sie mich aus dem Augenwinkel beobachtet und die Lippen schürzt. Hat sie etwa erwartet, ich würde ihrem Beispiel folgen? Innerlich schüttele ich den Kopf. Dazu bin ich nicht bereit.
Ich lasse mich von ihr durch den Mittelgang führen, dabei versuche ich, nicht das meterhohe goldene Kreuz anzusehen, das eine Kirchenwand schmückt. Die Leute, die zu beiden Seiten des Gangs auf Holzbänken sitzen, sehen zu uns herüber und tuscheln etwas. Ob sie mir etwa ansehen, dass ich keine von ihnen bin? Aber eigentlich weiß ich, dass sie nur neugierig sind. Klatsch und Tratsch machen in Kraków schnell die Runde, und viele werden längst gehört haben, dass Krysia Smoks verwaiste Nichte und deren kleiner Bruder bei ihr eingezogen sind. Krysia lässt nicht erkennen, ob sie die Blicke ebenfalls bemerkt hat. Immer wieder nickt sie Frauen und Männern zu beiden Seiten des Gangs zu und gibt manchen von ihnen die Hand. Dann führt sie uns auf halber Höhe zu einer leeren Bank, wo wir auf dem harten Holz Platz nehmen. Orgelmusik beginnt zu spielen. Ich sehe mich um und wundere mich, wie viele Menschen gekommen sind. Auch wenn mittlerweile zahlreiche Priester inhaftiert sind, so haben die Nazis es doch nicht geschafft, die Gläubigen vom Gottesdienst fernzuhalten.
Ein Priester tritt an den Altar und beginnt etwas auf Latein zu singen. Nach einigen Minuten knien sich alle Kirchgänger wie auf ein geheimes Zeichen hin zu Boden. Ich bleibe sitzen, da
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