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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Juden das Hinknien verboten ist. Aber Krysia zieht mich am Ellbogen nach vorn, sodass mir nichts anderes übrig bleibt. Ich lege meinen Arm um Łukasz, damit auch er sich hinkniet. Als ich ihn ansehe, bemerke ich, wie er mit aufgerissenen Augen nach oben schaut.
    Eine halbe Ewigkeit lang müssen wir in dieser Haltung verharren, doch schon nach kurzer Zeit schmerzen meine Knie, da sie eine solche Belastung nicht gewöhnt sind. Mir fällt auf, dass Krysia den Kopf gesenkt hält, was ich rasch übernehme. Der Priester trägt seinen Text in einem monotonen Singsang vor, von Zeit zu Zeit wiederholen die Gläubigen einige seiner Worte. Es ist nur eines von vielen geheimnisvollen Ritualen, mit denen ich nicht vertraut bin. Auf einmal bekreuzigen sich Krysia und die anderen. Widerstrebend bewege ich eine Hand auf eine nichtssagende Weise vor meinem Gesicht und hoffe, es fällt niemandem auf. Eine Bewegung am Rand meines Blickfelds erregt meine Aufmerksamkeit. Łukasz, der Sohn des Rabbiners, versucht allen Ernstes, die Gesten der anderen zu imitieren! Meine Nackenhaare sträuben sich bei diesem Anblick.
    Wieder werfe ich einen Seitenblick in Krysias Richtung. Sie bewegt die Lippen lautlos, so als würde sie etwas auswendig lernen. Mir wird klar, dass sie betet … dass sie richtiggehend betet. Ich schaue mich verstohlen um und frage mich, ob meine Gebete hier wohl auch erhört werden. Es ist so lange her, seit ich das letzte Mal gebetet habe, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich erwäge, die Shema zu sprechen, das einfachste jüdische Gebet.
Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
Nach dieser Zeile höre ich bereits wieder auf, da es sich nicht richtig anfühlt, dieses Gebet hier zu sprechen. Ich versuche es noch einmal.
Bitte
, bete ich, weiß aber nicht weiter.
Bitte, Gott.
Und dann auf einmal sprudelt es förmlich aus mir heraus. Ich bete, dass meinen Eltern und Jakub nichts geschieht. Ich bete für Krysia, Łukasz und mich selbst. Ich bete, dass wir die Kraft haben, unsere Tarnung aufrechtzuerhalten, wenn ich für den Kommandanten arbeite. Und ich bitte um Vergebung, dass ich mich an diesem Ort hier befinde und niederknie.
    Endlich dürfen wir uns wieder setzen. Ich nehme Łukasz auf meinen Schoß und drücke seine kalte Wange an meine, während der Priester in seinem monotonen Singsang fortfährt. Dann kommt er um den Altar herum, in den Händen hält er einen silbernen Kelch. Die Leute in der ersten Reihe stehen auf und gehen nach vorn. “Kommunion”, flüstert mir Krysia ganz leise zu. Ich nicke bestätigend. Davon habe ich schon mal gehört. Wenig später steht auch Krysia auf und fasst mich an der Schulter, damit ich ihr folge. Ich erhebe mich, doch meine Beine sind schwer wie Blei, so groß ist mein Widerwille, zum Altar zu gehen. Wir treten in den Mittelgang und stellen uns in die Reihe der Wartenden, die langsam nach vorn rückt. Łukasz ist bei uns, auch wenn er vermutlich für die Kommunion noch zu jung ist.
    Als wir an der Reihe sind, geht Krysia vor. Ich beobachte, wie sie sich hinkniet und den Mund öffnet, damit der Priester ihr eine dünne Waffel auf die Zunge legt. Dann steht sie auf, dreht sich zu mir um und nimmt Łukasz an die Hand. Nun trete ich vor und knie mich hin. “Der Leib Christi”, sagt der Priester, während er die Waffel auf meine Zunge legt. Ich schließe den Mund, weil sie so schrecklich trocken ist, gleichzeitig warte ich darauf, dass mich der Blitz trifft und ich tot umfalle.
    Schließlich ist der Gottesdienst zu Ende, und wir verlassen die Kirche. Ich kämpfe gegen den Wunsch an, nach draußen zu stürmen, doch Krysia will mich an der Tür den anderen Besuchern vorstellen und tauscht höfliche Belanglosigkeiten aus. Dann endlich kehren wir ans Tageslicht zurück.
    “Das war doch gar nicht so schlimm, nicht wahr?”, fragt mich Krysia, als die Kirche weit hinter uns liegt. Ich schüttele den Kopf, erwidere aber nichts. Es gibt Dinge, die sie allen noch so guten Absichten zum Trotz nicht verstehen wird. Ich fühle mich durch diese Erfahrung verletzt, und mir wird übel bei dem Gedanken, dass wir wieder hingehen müssen.
    Als wir zurück in Krysias Haus sind, muss ich an den nächsten Tag denken. In weniger als vierundzwanzig Stunden werde ich meine Arbeit für den Kommandanten aufgenommen haben. Ich widme mich ganz bewusst den verschiedensten Tätigkeiten im Haushalt, koche eine Rote-Beete-Suppe für Łukasz’ Mittagessen und lege die Kleidung heraus,

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