Der Kommandant und das Mädchen
halte inne, um eine Locke zurückzustreichen, die mir ins Gesicht gefallen ist. “Krysia, wenn du so etwas schon geahnt hast, warum hast du mich dann neben ihn gesetzt?”
Krysia sieht erstaunt auf. “Aber das habe ich gar nicht. Ich weiß ganz genau, dass ich Elżbieta ausdrücklich angewiesen habe, den Kommandanten neben mich zu setzen. Meine Hoffnung war, er könnte nach einigen Gläsern Wodka etwas Nützliches ausplaudern.” Sie stellt die Suppenschüssel in den Schrank und geht zur Tür. “Elżbieta?”, ruft sie. Die junge Frau kommt aus dem Esszimmer herein, in der Hand hält sie einen Besen.
“Elżbieta, was habe ich über die Sitzordnung gesagt?”
Sie schüttelt den Kopf. “Nun, Sie sagten, Sie wollten zwischen dem Kommandanten und Generalmajor Ludwig sitzen. Ich war überrascht, dass Sie Ihre Meinung offenbar geändert haben.”
“Danke, Elżbieta.” Die Frau geht verwirrt ins Esszimmer zurück, Krysia dreht sich zu mir um und hat die Stirn in Falten gelegt. “Ich weiß wirklich nicht, was da passiert ist.”
“Vielleicht war es ein Versehen”, überlege ich und schrubbe weiter den Kochtopf sauber. Bestimmt hat der Kommandant es darauf angelegt, neben mir zu sitzen. Mir dreht sich der Magen um.
“Vielleicht, ja … Jedenfalls kann ich nicht behaupten, dass es zwangsläufig eine schlechte Sache ist, wenn du für den Kommandanten arbeitest.”
“Wie kannst du so etwas sagen?”, flüstere ich erschrocken. “Das wird alles in Gefahr bringen: meine Identität, unsere Situation …”
“Anna”, unterbricht sie mich. Wir haben uns darauf geeinigt, dass sie mich auch dann mit diesem Namen anspricht, wenn wir allein sind. Auf diese Weise soll er uns in Fleisch und Blut übergehen. “Das ist die perfekte Tarnung. Niemand wird vermuten, dass sich eine Jüdin ausgerechnet im Hauptquartier der Nazis aufhält. Außerdem ist der Kommandant momentan einer der wichtigsten Männer in Kraków.” Sie macht eine kurze Pause. “Nach einer Weile könntest du so vertraut mit ihm sein, dass es uns bei unserer Arbeit hilft.”
“Aber du kannst doch nicht wirklich wollen, dass ich für die Nazis arbeite!” Unwillkürlich werde ich lauter, woraufhin sie rasch einen Finger auf ihre Lippen legt und mit einer Kopfbewegung in Richtung Esszimmer deutet. “Entschuldige”, sage ich tonlos und schäme mich für meine lautstarke Entrüstung. In diesem Augenblick wird mir die Gefährlichkeit unserer Situation bewusst. Wie schlimm kann diese Maskerade noch werden, wenn man jetzt schon von mir erwartet, mich Tag für Tag den wachsamen Blicken von Kommandant Richwalder auszusetzen? Übelkeit überkommt mich.
Später in dieser Nacht liege ich wach in meinem Bett und starre die Deckenbalken an. In der Ferne bellen Hunde. Schon wieder hat sich mein Leben von Grund auf geändert, und am Ende des Tages wird abermals nichts mehr so sein wie noch bei Sonnenaufgang. Eines Morgens wachte ich in Jakubs Haus auf, und als ich abends zu Bett ging, war ich eine Gefangene im Ghetto. Dann wechselte ich meine Identität von der verfolgten Jüdin zu einer Christin in Krysias Haus, und nun werde ich für die Nazis arbeiten. Mir läuft ein Schauder über den Rücken, und ich ziehe die Decke enger um mich, obwohl wir bereits Frühling haben und es nun wirklich nicht mehr kalt ist.
Im Geiste kehre ich zu dem Moment zurück, da der Abend offiziell vorüber war. Kommandant Richwalder war als Letzter gegangen. Ich sehe ihn wieder in seinem langen Militärmantel im Türrahmen stehen. Er trägt Handschuhe und hält meine Hand fest, dann hebt er sie noch einmal an seine Lippen. “Ich werde mich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden, sobald der Papierkram erledigt ist.”
Meine Hand zittert, als ich sie zurückziehe. “Vi-vielen Dank, Herr Kommandant.”
“Nein, Fräulein Anna, ich habe zu danken.” Mit diesen Worten wendet er sich ab und geht fort. Jetzt schaudert mir erneut, wenn ich nur an diesen Augenblick denke. Wie er mich angeschaut hat, das erinnert mich an eine Spinne, die eine in ihrem Netz gefangene Fliege begutachtet. In der Ferne bellen noch immer die Hunde.
7. KAPITEL
M ehrere Tage lang hören wir nichts mehr von Kommandant Richwalder. “Vermutlich braucht die Überprüfung deiner Personalien einige Zeit”, erklärt Krysia, als ich sie darauf aufmerksam mache.
“Die Überprüfung meiner Personalien?” Ich gerate in Panik, weil ich überzeugt davon bin, dass meine wahre Identität ans Licht kommen wird. Aber
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