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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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die er morgen tragen soll. “Das kann ich doch auch erledigen”, wendet Krysia ein.
    Ich schüttele den Kopf. “Ich kann jetzt keine Pause machen”, erwidere ich, während ich eines der frisch gewaschenen Hemden des Jungen mittlerweile zum vierten Mal neu falte. “Ich bekomme heute Nacht sowieso kein Auge zu.”
    Erst um kurz vor Mitternacht gehe ich ins Bett, wälze mich aber dennoch immer wieder von einer Seite auf die andere. Die Gedanken, gegen die ich sonst so hartnäckig ankämpfe, damit sie mir nicht den Schlaf rauben – Überlegungen etwa, wie es meinen Eltern im Ghetto geht –, stellen jetzt eine willkommene Abwechslung dar. Sie helfen mir, nicht an das zu denken, was mich am Morgen erwartet. Wie konnte sich mein Leben innerhalb eines Jahres nur so radikal ändern? Jakub würde mich sicher nicht mehr wiedererkennen. Ich stelle mir vor, wie ich ihm einen Brief schreibe. Wo sollte ich anfangen? O ja, mein Geliebter, schreibe ich im Geist. Deine Frau ist jetzt eine Christin. Und habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich einen Bruder habe? Und dass ich ab morgen für die Nazis arbeiten werde? In der Dunkelheit muss ich laut auflachen.
    Aber ich weiß auch, dass die Situation in Wahrheit todernst ist. Indem ich tagaus, tagein ins Nazi-Quartier gehe, begebe ich mich vorsätzlich in die Höhle des Löwen. Nicht nur meine eigene Sicherheit steht auf dem Spiel, wenn man hinter meine wahre Identität kommt, sondern auch alle anderen sind dann in Gefahr: meine Eltern, Łukasz und sogar Krysia. Krysia. Ich sehe wieder ihren Gesichtsausdruck vor mir, wie sie mich drängt, das Angebot des Kommandanten anzunehmen. Ich weiß, wie besorgt sie mich seitdem ansieht. Ihr sind die Risiken ebenfalls bewusst, und sie muss sehr zwingende Gründe haben, mich trotzdem diese Stelle antreten zu lassen. Irgendwann werden meine Lider schwer und ich döse ein.
    Ich meine, ich hätte nur für Minuten geschlafen, als mich der Hahnenschrei vom Nachbargrundstück weckt. Daran, wie das Licht zwischen den Ahornbäumen hindurchscheint, kann ich erkennen, dass es ungefähr fünf Uhr sein muss. Einen Moment lang liege ich nur da und lausche dem Hufgetrappel auf der staubigen Straße. Die Pferde ziehen die Wagen der Bauern hügelabwärts, damit Obst und Gemüse zu den Märkten gelangen. Mein Blick ist starr zur Decke gerichtet, während ich unschlüssig daliege. Wenn ich erst einmal einen Fuß auf den Boden vor meinem Bett gestellt habe, setze ich damit etwas in Gang, das ich nicht wieder stoppen kann. Vielleicht bleibt die Zeit ja stehen, wenn ich einfach liegen bleibe. Es ist ein altvertrautes Spiel aus meiner Kindheit, das immer dann zum Einsatz kam, wenn ich irgendetwas nicht machen wollte. Es hat damals nicht funktioniert, und jetzt wird es nicht anders sein. Außerdem tue ich mir keinen Gefallen, wenn ich gleich am ersten Tag zu spät zur Arbeit erscheine. Also atme ich einmal tief durch und stehe auf.
    Leise wasche ich mich und ziehe mich an. In der Hoffnung, weder Krysia noch Łukasz aufzuwecken, schleiche ich auf Zehenspitzen nach unten, damit meine Schuhsohlen auf der Treppe nicht quietschen. Doch Krysia sitzt bereits am Küchentisch und liest bei einem Glas Tee die Zeitung. Ich frage mich, ob sie die letzte Nacht überhaupt geschlafen hat. “Guten Morgen, Anna”, begrüßt sie mich mit einem aufmunternden Lächeln. Sie steht auf und sieht mich von oben bis unten an. Ich habe aus ihren abgelegten Kleidungsstücken eine weiße Bluse und einen grauen Rock ausgewählt. Die viel zu weite Bluse wird an der Taille von einem Gürtel zusammengehalten, der Rock – der knielang sein sollte – reicht mir bis fast zu den Knöcheln. “Du siehst sehr professionell aus”, kommentiert sie und bedeutet mir, mich zu setzen. Sie schiebt mir einen Teller mit noch dampfenden Eierkuchen zu. “Und nun iss.”
    Ich schüttele den Kopf, da der Geruch mir Übelkeit bereitet. “Ich bin zu nervös.” Noch während ich das sage, dreht sich mir der Magen um, mir wird unwohl. “Außerdem sollte ich mich besser auf den Weg machen. Ich möchte nicht zu spät kommen.”
    Krysia gibt mir ein kleines Essenspaket und einen leichten Wollumhang. “Versuch dich zu beruhigen. Wenn du nervös bist, wirst du nur umso mehr Fehler machen. Bewahre die Ruhe, beobachte, was du beobachten kannst … und vertraue niemandem.” Sie klopft mir auf die Schulter. “Du schaffst das schon. Łukasz und ich werden hier auf dich warten, wenn du nachher zurückkommst.”
    Es

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