Der Kommandant und das Mädchen
Aktentasche mit Unterlagen zusammenstellen, die er dann mit nach Hause nimmt”, füge ich rasch hinzu, um ihn nicht auf falsche Gedanken zu bringen.
Er schweigt einige Sekunden lang. “Emma, es gibt da etwas, das du für uns tun könntest.”
Etwas anderes
, möchte ich ihn korrigieren. Ich tue bereits etwas für sie. “Ja?”
“Ich kann mich kaum überwinden, es auszusprechen …”
“Ich werde tun, was ich kann, um zu helfen.” Noch während ich diese mutigen Worte ausspreche, überkommt mich schreckliche Furcht.
“Ich weiß. Aber das ist anders als alles, was du bislang gemacht hast.” Er sieht mir in die Augen. “Du musst einen Weg finden, in das Arbeitszimmer in seiner Wohnung zu gelangen.”
Ein Schauder läuft mir über den Rücken.
“Hör mir genau zu.” So ernst habe ich Alek noch nie erlebt. “Hier geht es nicht darum, mal eben in ein Büro zu gehen und ein paar Passierscheine zu stehlen.”
Mal eben?
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich das erste Mal in Kirchs Büro eingedrungen bin. Ich frage mich, ob Alek überhaupt eine Vorstellung davon hat, wie schwierig das war.
“Du musst in sein Arbeitszimmer gelangen”, redet er weiter, “und dich dort umsehen. Wir wissen nicht genau, wonach du suchen musst. Korrespondenz, Eingaben, Anweisungen oder Ähnliches. Irgendetwas, das die Pläne für das Ghetto angeht. Das wird nicht einfach sein”, warnt er. “Richwalder ist für seine Verschlossenheit bekannt, und das sind sicher keine Dokumente, die er auf dem Schreibtisch herumliegen lässt. Ich rede hier von Schubladen, Aktenschränken und so weiter. Du musst extrem vorsichtig sein.”
Er weiß so gut wie ich, was mir und vielen anderen widerfahren wird, wenn man mich erwischt. “Ich … kann das machen”, sage ich zögernd. “Er vertraut mir.”
“Ja, das wissen wir”, gibt Alek zurück. “Darum wenden wir uns an dich.”
Mir wird bewusst, dass ich in der Wawelburg vielleicht nicht die einzige Spionin des Widerstands bin. Es könnte noch jemand dort sein, der seinerseits die Aufgabe hat, mich zu beobachten. Innerlich muss ich lachen.
Plötzlich wird mir das Ganze zu viel. “Ich muss jetzt gehen”, erkläre ich und stehe auf.
Alek greift nach meiner Hand. “Ich weiß, das wird nicht leicht für dich.”
Nicht leicht?
Nicht leicht
ist gar kein Ausdruck für das, was mich erwartet. “Ist schon gut”, gebe ich zurück, obwohl meine Worte kaum weiter von der Wahrheit entfernt sein könnten. Ich sehe Alek an, wie er da vor mir sitzt. “Nur noch eine Frage. Weiß Jakub davon?”
Er schüttelt den Kopf. “Er weiß nur, dass du für den Kommandanten arbeitest. Das sorgt ihn schon genug.”
“Gut. Dann versprich mir, dass du ihm gegenüber nichts von dieser Sache erwähnst.”
“Das schwöre ich dir. Dein Mann wird das nie erfahren.”
Beim Blick in Aleks ernst dreinblickenden Augen erkenne ich, dass ich ihm glauben kann.
“Danke.” Ich ziehe meine Hand zurück und wende mich ab.
“Emma, noch eine letzte Sache.” Ich drehe mich wieder zu ihm um. “Es kommt auf jede Sekunde an. Wenn du etwas findest, das von Bedeutung sein könnte, dann warte nicht bis zum darauffolgenden Dienstag. Sag Krysia, sie soll Kontakt mit uns aufnehmen, dann finden wir schon einen Weg, uns zu treffen.”
“Ich verstehe.” Wieder wende ich mich zum Gehen und spüre, wie Alek mir nachschaut.
Ich habe den Marktplatz noch nicht ganz überquert, da ruft auf einmal eine laute Frauenstimme hinter mir her: “Anna!” Ich erstarre vor Schreck. Langsam drehe ich mich um und stelle fest, dass diese schrille, nasale Stimme zu Malgorzata gehört.
“Hallo”, grüße ich sie und bemühe mich, sie anzulächeln. In der Hoffnung, irgendwelche Fragen im Keim zu ersticken, deute ich auf ihre Tasche. “Waren Sie noch einkaufen?”
Doch Malgorzata lässt sich nicht beirren. “Wer war denn das?”, fragt sie. An der Richtung, in die sie mit dem Kopf deutet, wird klar, dass sie mich mit Alek gesehen hat.
“Ich weiß nicht, was Sie mein…”, weiche ich aus.
“Mir müssen Sie nichts vormachen, Anna”, fällt sie mir ins Wort. “Ich sah Sie mit dem gut aussehenden jungen Mann beim Tee.”
“Ach, ihn meinen Sie.” Ich winke beiläufig ab.
“Keine Angst.” Sie zwinkert mir zu und redet in einem verschwörerischen Tonfall weiter. “Ich werde dem Kommandanten nichts verraten.” Dabei weiß ich, sie wird genau das tun, sollte ich ihr dazu einen Anlass bieten.
“Das ist Stefan”, antworte
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