Der Kommandant und das Mädchen
Orchester. Ich überlege, was hier gerade geschieht. Offensichtlich fühlt sich der Kommandant zu mir hingezogen, vielleicht ist es sogar mehr als nur Anziehung. Aber was immer er empfindet, seine Gefühle gelten nicht mir, sondern Anna. Und Anna gibt es nicht.
Eine Stunde später ist das Konzert vorüber, und wir durchqueren das Foyer in Richtung Ausgang. “Möchten Sie noch irgendwo eine Kleinigkeit essen?”, fragt mich der Kommandant, als er mir in den dünnen Mantel hilft.
Ich zögere. Mir ist bewusst, dass ich das Angebot annehmen sollte, weil die Chance besteht, dass er nach ein paar Gläsern etwas Wichtiges ausplaudert. Doch dieser Abend hat mich etwas zu sehr angestrengt, und ich glaube nicht, dass ich noch die Kraft für eine Unterhaltung bei einem Abendessen habe. “Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Kommandant, aber ich muss Ihr Angebot leider ausschlagen. Es ist bereits spät, und Łukasz wird mich bei Sonnenaufgang schon wieder wecken.”
“Ich verstehe.” Er ist sichtlich enttäuscht. Wir gehen nach draußen, wo Stanislaw bereits mit dem Wagen auf uns wartet. Auf der Heimfahrt reden wir nur wenig. Während ich schweigend neben ihm sitze, wird mir auf einmal bewusst, dass ein Teil von mir diesen Abend genossen hat und das frühe Ende bedauert.
Stanislaw hält vor Krysias Haus, im ersten Stock brennt ein einzelnes Licht. Sie scheint auf mich zu warten. “Nochmals vielen Dank”, sage ich und wende mich in der Hoffnung auf einen schnellen Rückzug der Wagentür zu.
“Anna, warten Sie.” Widerstrebend sehe ich zu ihm. “Das hätte ich fast vergessen …” Verwundert beobachte ich, wie der Kommandant in seine Jackentasche greift und eine kleine rechteckige Schachtel zum Vorschein kommt, die er zwischen uns auf den Sitz legt. “Das habe ich Ihnen aus Berlin mitgebracht.”
“Herr Kommandant …”, setze ich an, bin aber zu überrascht, um weiterzureden. Er schiebt mir die Schachtel zu. Langsam greife ich danach und öffne sie. Der Inhalt macht mich sprachlos: eine zarte silberne Halskette mit einem hellblauen Edelstein daran. Ich nehme die Kette behutsam heraus und betrachte ungläubig den schönsten Schmuck, den ich je in den Händen hielt.
“Ein kleines Dankeschön für Ihren unermüdlichen Einsatz.” Er sieht mir nicht in die Augen, als er das sagt, und ich bin davon überzeugt, dass seine Erklärung eine Lüge ist. Für Malgorzata hat er ganz bestimmt kein solches Geschenk mitgebracht, und auch nichts Entsprechendes für Oberst Diedrichsen. “Kommen Sie, ich helfe Ihnen.” Er nimmt mir die Halskette aus der Hand, und ich drehe mich ein wenig zur Seite, damit er sie mir umlegen kann. Während er sich mit dem Verschluss abmüht, spüre ich seinen warmen Atem auf meiner Haut und die leichte Berührung seiner Finger am Hals.
“Danke”, murmele ich und drehe mich wieder zu ihm. Ich berühre den Stein, der nun auf dem Kreuz liegt, das ich bereits trage. Zusammen fühlen sich beide Ketten an wie eine schwere Schlinge. “Sie ist wunderschön, aber viel zu kostbar.”
“Unsinn, Sie sind diejenige, durch die diese Kette erst kostbar wird …” Er hält abrupt inne, offenbar aus Verlegenheit über seine eigenen Worten. Ich nicke nur. In meiner Kehle sitzt ein Kloß, der mich daran hindert, einen Ton herauszubringen. Wieder drehe ich mich vom Kommandanten weg, weil ich aussteigen will. “Nein, warten Sie”, sagt er, steigt auf seiner Seite aus und kommt um den Wagen herum. Er öffnet die Tür und hält mir den Arm hin, den ich nur widerwillig ergreife, dann lasse ich mir von ihm beim Aussteigen helfen. Als ich mich aufrichte, bin ich dem Kommandanten so nah, dass meine Nase fast seinen Wollmantel berührt.
Verlegen trete ich einen Schritt zurück. “Nochmals vielen Dank.”
“Es war mir ein Vergnügen”, erwidert er sanft. Er beugt sich zu mir vor, und ich gerate in Panik. Was hat er vor? Will er mir einen Gutenachtkuss geben? Bevor ich reagieren kann, hebt er meinen linken Arm an und zeigt auf den Ärmel meines Mantels. Der Riemen rund ums Handgelenk hat sich gelöst und hängt herab. “Einen Augenblick.”
Er schiebt den Riemen zurück durch die Schlaufe und knöpft ihn zu. Ich spüre seinen Atem auf meiner Stirn, keiner von uns spricht ein Wort.
“Gute Nacht”, sage ich und ziehe den Arm zurück. “Bis Montag.” Zügig gehe ich zur Tür, bevor er mir anbieten kann, mich dorthin zu begleiten.
Im Haus angekommen, lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Tür und merke,
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