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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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ist nur, wie ich das anstellen soll.
    An meinem Schreibtisch angekommen, sehe ich mir den Terminplan des Kommandanten an. Den ganzen Tag über sind Besprechungen am Außenring vorgesehen. Bei Außenterminen am Nachmittag kehrt der Kommandant anschließend meistens nicht mehr ins Büro zurück, sondern fährt direkt nach Hause und lässt sich die Arbeit in seine Wohnung schicken. Als ich später an diesem Vormittag durch den Empfangsbereich gehe, höre ich Oberst Diedrichsen zu Malgorzata sagen, dass ein Bote nach Feierabend verschiedene Akten zum Kommandanten bringen soll.
    “Herr Oberst, ich kann die Akten auf dem Heimweg mitnehmen und bei ihm abgeben”, mische ich mich ein. Diedrichsen sieht mich erstaunt an. “Es gibt einige Dinge, die der Kommandant heute Morgen mit mir durchsprechen wollte, aber wir hatten wegen seiner Termine keine Gelegenheit dazu”, rede ich freundlich lächelnd weiter. “Dinge, um die er sich persönlich kümmern muss.”
    “Ich weiß nicht …”, meint Diedrichsen zögerlich. Er ist ein typischer Deutscher, der sofort verwirrt reagiert, wenn etwas nicht genau nach Vorschrift läuft.
    “Ich bin sowieso in seine Richtung unterwegs, weil ich noch Besorgungen machen muss”, beharre ich, kann den Mann aber noch immer nicht recht überzeugen.
    In diesem Moment klingelt Malgorzatas Telefon. “Jawohl?”, meldet sie sich, dann sieht sie hoch. “Es ist für Sie, Herr Oberst.”
    Er nimmt den Hörer an, sieht zu mir und zuckt mit den Schultern. “Meinetwegen. Es ist ein schwerer Stapel Akten. Sorgen Sie dafür, dass Stanislaw Sie hinfährt.”
    Ich atme erleichtert auf, aber mein Magen verkrampft sich erneut. Immerhin habe ich mich soeben verpflichtet, den Kommandanten in seiner Wohnung aufzusuchen. Damit hat die schwierigste Aufgabe meines Lebens begonnen.
    Um fünf Uhr am Nachmittag verlasse ich mein Büro mit den Akten für den Kommandanten. Stanislaw fährt mich zu seinem Wohnhaus und lässt mich vor der Haustür aussteigen. Vorsichtig gehe ich die Treppe hinauf, da ich vermeiden will, dass mir eine Akte hinunterfällt. Vor der Wohnungstür angekommen, zögere ich. Ich kann das nicht! Ich fühle, wie Panik in mir aufsteigt. Ich werde die Akten vor die Tür legen und gehen, überlege ich und platziere den Stapel auf der Fußmatte, dann wende ich mich ab. Bei meinem ersten Schritt knarrt ein Dielenbrett so laut, dass der Kommandant in seiner Wohnung darauf aufmerksam werden muss. “Hallo?”, ruft es von drinnen. Fast bleibt mein Herz stehen, als ich höre, wie sich seine schweren Schritte der Tür nähern. Jetzt ist es zu spät, um noch wegzulaufen. Laut seufzend bücke ich mich und hebe die Akten auf. Als ich mich aufrichte, öffnet er die Tür. “Anna!”, sagt der Kommandant erstaunt und sieht mich mit großen Augen an.
    “Der Bote hatte schon Feierabend”, behaupte ich, da ich weiß, dass er zu überrascht ist, um an meiner Geschichte zu zweifeln. “Oberst Diedrichsen erwähnte, Sie bräuchten die hier.” Ich hebe die Akten leicht an, um ihn auf sie aufmerksam zu machen.
    “Kommen Sie doch erst mal herein”, fordert er mich auf und macht einen unsicheren Schritt zur Seite. Er hat seine Jacke ausgezogen, die Ärmel sind hochgekrempelt, und das Hemd ist so weit aufgeknöpft, dass ich ein paar graue Haare auf seiner Brust erkennen kann. So zwanglos gekleidet habe ich ihn noch nie gesehen. Ich lege die Akten auf den Tisch, auf den er zeigt, und verharre dann ein wenig hilflos mitten in dem nur schwach beleuchteten Zimmer. Der Reisekoffer des Kommandanten steht in einer Ecke auf dem Fußboden, er ist geöffnet, aber seit der Rückkehr aus Berlin noch nicht ausgepackt worden. Im Zimmer ist es viel zu warm, die Luft ist schwer vom Geruch nach Weinbrand und Schweiß.
    “Willkommen”, erklärt er und macht eine ausholende Geste mit der Hand, in der er ein Glas hält. Die bräunliche Flüssigkeit schwappt bedenklich hin und her. Mir wird klar, dass er wieder getrunken hat. So habe ich ihn bislang nur kurz vor seiner Abreise nach Berlin erlebt, und besorgt frage ich mich, was ihn diesmal aus der Fassung gebracht hat. “Kommen Sie, setzen Sie sich.” Gegen meinen Willen gehe ich zum Sofa und nehme auf der äußersten Kante Platz. “Möchten Sie etwas trinken?”, fragt er.
    Mein Magen dreht sich um, und ich muss mich zwingen, nicht aufzuspringen und aus der Wohnung zu rennen. “Ja, bitte.” Vielleicht bekomme ich ihn so dazu, noch mehr zu trinken, bis er einschläft. Dann

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