Der Kommandant und das Mädchen
ich gelassen. “Er ist ein Freund meiner Tante Krysia.”
“Oh.” An der Art, wie ihre Stimme tonlos wird, kann ich erkennen, dass sie meine Erklärung für bare Münze nimmt und nun enttäuscht ist, weil es nicht mehr zu berichten gibt.
“Tja, ich habe noch einen weiten Weg bis nach Hause”, sage ich. “Ich muss dann jetzt los.
Dobry wieczór
, Malgorzata.”
“Dobry wieczór
, Anna.”
Da ich weiß, dass sie mir nachschauen wird, versuche ich den Platz in einem normalen Tempo zu überqueren. Ich biege um die Ecke in die ulica Anna ein, wo ich stehen bleibe, da ich das Gefühl habe, dass mir gleich schlecht wird. Malgorzata hat mich mit Alek gesehen. Ein Glück, dass sie dumm genug ist, meine Ausrede zu glauben. Aber es hätte auch jemand anders sein können, nicht Malgorzata. Zum Beispiel einer der Offiziere der Wawelburg, überlege ich, während ich gegen die Hauswand gelehnt dastehe. Oder sogar der Kommandant selbst. Wir sind mit diesen Treffen viel zu nachlässig geworden. Meine Identität und alle Pläne wären im Handumdrehen enttarnt, und das darf auf keinen Fall passieren. Nicht jetzt, wo so viel auf dem Spiel steht.
Nach dem Gespräch mit Alek will ich eigentlich sofort nach Hause fahren, doch mit einem Mal merke ich, dass ich vom Stadtzentrum in südliche Richtung zum Fluss laufe. Der Weg entlang des Ufers ist an diesem warmen Abend im August von Spaziergängern bevölkert, die das Wetter genießen wollen: junge Paare, die hier flanieren, so wie Jakub und ich es früher machten; Kinder, die vor ihren Müttern herlaufen und Vögel jagen. An all diesen Menschen gehe ich vorüber, nehme sie jedoch kaum wahr, da ich in Gedanken mit dem befasst bin, worum Alek mich gebeten hat. Ich soll in das private Arbeitszimmer des Kommandanten eindringen und herausfinden, welches Schicksal für die Juden geplant ist. Das ist nicht so leicht wie der Diebstahl von ein paar Passierscheinen aus einem Büro in der Burg. Ich muss mich in seiner Wohnung aufhalten und mich mit dem Arbeitszimmer und dem Schreibtisch vertraut machen – und herausfinden, welche Unterlagen er dort verwahrt. Hier kann Alek mir keinen Schlüssel oder eine Zahlenkombination geben, damit ich in die Wohnung gelange, wenn der Kommandant nicht zu Hause ist. Ein Einbruch kommt ebenfalls nicht infrage. Nein, er muss sogar wissen, dass ich mich dort aufhalte. Ich brauche einen Vorwand, um in seinem Zuhause Zeit zu verbringen. Dieser Punkt stellt noch das kleinste Problem dar, denn ich weiß, der Kommandant ist von meiner Gesellschaft angetan. Er würde mich auf der Stelle zu sich einladen, wenn ich einen Hinweis darauf geben würde, eine solche Einladung annehmen zu wollen. Vielleicht könnte ich bei ihm zu Abend essen. Wir würden etwas trinken, und wenn er dann eingeschlafen ist …
Abrupt bleibe ich stehen. In der Wohnung des Kommandanten übernachten, vielleicht sogar mit diesem Mann schlafen … ist das wirklich das, was Alek von mir erwartet? Kein Wunder, dass er nervös war. Er will, dass ich mit einem anderen Mann intim werde und meinen Ehemann betrüge! Plötzlich bleibt mir die Luft weg. Ich kann Jakub nicht untreu werden, das ist völlig undenkbar.
Jakub. Vor meinem geistigen Auge sehe ich sein liebevolles Gesicht. Er wird es nie erfahren, hat Alek mir versprochen. Da war mir noch nicht die Tragweite seines Anliegens bewusst, aber jetzt hat mich die Erkenntnis wie ein Schlag in den Magen getroffen. Ich soll meinen Mann betrügen, ihn belügen. Wenn es dazu kommen sollte, würde dieses Geheimnis für immer zwischen uns stehen. Und wenn er es irgendwann herausfindet … mir schaudert bei dem Gedanken.
“Nein!”, sage ich laut. Einige Spaziergänger, die um mich einen Bogen machen müssen, weil ich im Weg stehe, werfen mir verwunderte Blicke zu. “Nein”, wiederhole ich im Flüsterton. Ich gehe bis zu einer Bank am Flussufer und denke angestrengt nach. Was würde Jakub tun, wäre er in meiner Situation? Er glaubt an die Sache der Bewegung. Vielleicht glaubt er sogar noch stärker an die Sache als an uns. Sonst wäre er jetzt hier bei mir, nicht aber irgendwo untergetaucht, um für den Widerstand zu arbeiten. Und ich wäre gar nicht erst mit diesem Dilemma konfrontiert.
Es reicht
, denke ich. Es führt zu nichts, dem nachzutrauern, was hätte sein können. Dies hier ist nicht Jakubs Entscheidung. Er hatte mich ja überhaupt nicht in die Widerstandsbewegung hineinziehen wollen. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Es geht hier nicht um
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