Der Kommandant und das Mädchen
wie mein Herz rast. Aus dem ersten Stock höre ich Musik von Chopin. Darum bemüht, einen gefassten Eindruck zu machen, gehe ich die Treppe hinauf. Krysia sitzt auf dem Sofa, das Grammofon läuft, sie liest ein Buch, auf dem Tisch neben ihr steht ein Glas Tee. “Wie ist es gelaufen?”
“Großartig.”
Mein sarkastischer Tonfall entgeht ihr nicht, und sie hebt den Kopf. “Geht es dir nicht gut? Du bist so rot im Gesicht …” Ich erwidere nichts, während ihr Blick auf die Halskette fällt. “Was ist denn das?”
“Dreimal darfst du raten”, gebe ich zurück.
“Er hat dir ein Geschenk gemacht?”
Ich nicke. “Aus Berlin mitgebracht.”
Ihre Augen werden größer. “Nicht zu fassen.”
“Und das ist nicht mal das Schlimmste.” Ich lasse mich neben Krysia aufs Sofa fallen und berichte von meiner Begegnung mit Eliana Szef.
“Das muss ja völlig nervenaufreibend gewesen sein”, sagt sie mitfühlend. “Aber das da macht mir weitaus mehr Sorgen.” Sie deutet auf den Edelstein an meiner Halskette. “Das ist ein Topas. Der ist sehr teuer. Was hat er gesagt, als er ihn dir gab?”
“Dass es ein Zeichen seiner Dankbarkeit ist.”
Sie nickt nachdenklich. “Hat er noch etwas Wichtiges gesagt?”
“Er sprach davon, dass seine Frau vor zwei Jahren starb und dass er sich in Berlin um ihren Nachlass gekümmert hat.” Ein merkwürdiger Ausdruck zeichnet sich auf Krysias Gesicht ab. “Was ist?”, frage ich.
“Nichts, gar nichts”, erwidert sie, doch es überzeugt mich nicht. Ihre Miene verrät mir, dass sie mir etwas verschweigt, doch ich frage nicht weiter nach. “Und was ist mit dir?”, will sie wissen.
Verständnislos lege ich den Kopf schräg. “Ich verstehe deine Frage nicht.”
“Was empfindest du bei diesem Werben des Kommandanten um dich?”
“Natürlich hasse ich es”, antworte ich viel zu schnell. “Ich meine, ich bin schließlich mit Jakub verheiratet.” Sie entgegnet nichts, und ich rutsche unbehaglich auf meinem Platz hin und her. “Ich vermute, ein Teil von mir fühlt sich geschmeichelt …”
“Ja, selbstverständlich. Der Kommandant ist ein gut aussehender Mann, zudem ist er mächtig.” Sie greift nach meiner Hand und hält sie fest. “Ich will nicht neugierig sein. Es ist nur eben so, dass du und der Kommandant … dass es zwischen euch eine gewisse gegenseitige Anziehung gibt.”
“Aber …”, will ich protestieren.
Krysia hebt ihre Hand. “Es ist schon in Ordnung, Anna. Ich weiß, du liebst meinen Neffen. Ich erwähne es auch nur, um dir zu sagen, dass es in Ordnung ist. Manchmal fühlen sich zwei Menschen ungewollt zueinander hingezogen. Und manchmal empfindet man für mehr als nur einen Menschen tiefe Gefühle. Aber es ist besser, sich diese Gefühle einzugestehen und Vorsicht walten zu lassen.”
Ich kann nur nicken. Ihre Worte verschlagen mir die Sprache.
“Aber egal”, fährt sie fort. “Ich erhielt heute eine Nachricht von Alek.”
“So?” Mein Abend im Konzert und die beunruhigende Unterhaltung sind sofort vergessen. “Was gibt es Neues?”
“Er muss mit dir sprechen. Du sollst dich zur üblichen Zeit am üblichen Ort mit ihm treffen.” Ich bin froh, wieder von Alek zu hören, aber es ist ungewöhnlich, dass er mich zu sich bestellt, zumal ich momentan für die Bewegung keinen Nutzen bringe. Was er wohl von mir will? Ich vermute, diesmal wird es etwas Schwierigeres sein als das Stehlen einiger Passierscheine. Ich spiele mit der Halskette und werfe Krysia einen Blick zu, der mein Unbehagen vermitteln soll, während ich mich frage, wie weit dieses Schauspiel noch gehen wird.
12. KAPITEL
A m Dienstag nach meinem Rendezvous mit dem Kommandanten begebe ich mich nach der Arbeit zum Marktplatz. Es ist August, und das Wetter ist so drückend und heiß, wie es in Kraków in jedem Sommer immer nur an ein paar Tagen der Fall ist. Das Kopfsteinpflaster scheint unter der brütenden Nachmittagssonne dahinzuschmelzen.
Nach einem Blick über die Schulter, um mögliche Verfolger auszumachen, überquere ich den Markt und gehe zu dem Café, in dem wir uns für gewöhnlich treffen. An einem der Tische sitzt Alek und erwartet mich bereits. Überrascht stelle ich fest, dass er allein ist. “Marek muss noch etwas erledigen”, sagt er, als ich mich zu ihm setze. Seine Erklärung erscheint mir sonderbar, denn ich habe selten einen der beiden Männer ohne den anderen gesehen. Insgeheim frage ich mich, ob es für sie jetzt gefährlicher geworden ist, zur selben
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