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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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warteten.
    Das taten sie nicht.
    Nichts von Kluuge.
    Nichts von Münster.
    Na ja, dachte er. Jeder Tag hat so seine eigenen Mühen.
    Und während er zum Ortskern marschierte, überlegte er, was zum Teufel er eigentlich damit gemeint hatte.

9
    Trotz des massiven Zustroms von Frischlufttouristen – wahrscheinlich beherbergte der Ort im Augenblick doppelt so viele Menschen wie im Winterhalbjahr, wie Van Veeteren vermutete  – hatte Sorbinowo auch seine Grenzen. Die Zahl respektabler Gasthäuser (hierzu zählte er alle Orte, an denen man an einem Tisch sitzen und essen konnte und gleichzeitig nicht gezwungen war, elektronische Musik einer mehr oder minder erträglichen Lautstärke zu hören) belief sich auf genau fünf. Einschließlich des Florian’s, in dem er mit Kluuge zu Mittag gegessen hatte, und des Grimm’s Hotel, in dem er wohnte.
    An diesem zweiten Abend entschied sich der Hauptkommissar für Nummer vier in der Reihenfolge, eine einfache, pseudo-italienische Geschichte in einem der Gässchen, die vom Kleinmarckt zur Kirche und zum Bahnhof hinauf führten. Die Pasta war ein wenig klebrig und das Bier lauwarm, wie sich herausstellte, aber es war ruhig und friedlich hier, und er konnte ungestört seinen Gedanken nachgehen.
    Die reichlich fremd waren, das war nicht zu leugnen.
    Gebet? dachte er.
    Entsagung? Reinheit?
    Daran hatte er beim Hören der Fugen im Auto auch schon gedacht.

    Und das Bild der schweigenden, nackten Mädchen unten am Seeufer kam zurück. Und das der bleichen Frauen in den Baumwollüberwürfen.
    Worum, zum Teufel, ging es hier eigentlich?
    Eine berechtigte Frage, kein Zweifel. Es gab Stimmen in ihm – laute Stimmen –, die ihn ganz hartnäckig dazu ermahnten, doch reinen Tisch zu machen. Nicht eine Sekunde länger damit zu warten, sondern sofort wieder nach Waldingen hinauszufahren  – möglichst in Kluuges uniformierter Begleitung  – und die Leute dort zur Rechenschaft zu ziehen.
    Oscar Jellinek die Leviten zu lesen und diese verdammte Frömmelei mit dem Holzhammer zu zerschlagen.
    Herauszubekommen, wie jedes einzelne Mädchen hieß und sie dann bei der ersten besten Gelegenheit nach Hause zu schicken.
    Laute Stimmen, wie gesagt.
    Aber da war auch noch etwas anderes. Er trank einen Schluck Bier und versuchte genauer zu definieren, was es war.
    Etwas, das mit Freiheiten und Gerechtigkeiten zu tun hatte anscheinend.
    Mit dem Recht, seine Religion in Frieden und ohne Einmischung ausüben zu dürfen. Nicht die Polizei in allen Ecken herumschnüffeln sehen zu müssen und zu befürchten, dass sie sich einmischte, sobald man nicht in die allgemeine Gleichförmigkeit passte.
    Damit, eine Minorität zu verteidigen oder zumindest nicht zu zerstören.
    Ja, so ungefähr in der Richtung, darum ging’s, da gab es keinen Zweifel.
    Trotz der intuitiven Abscheu, die er gegenüber Jellinek empfunden hatte, konnte er nicht anders, er musste ihm in der Sache selbst zustimmen. Welches Recht hatte er denn – er, der Ungläubige –, sich über diese durch den Wind getriebenen Sektierer zu stellen?
    Zwei anonyme Telefonanrufe. Ein verschwundenes Mädchen? Sollte das Grund genug sein?

    Es konnte mit Recht gefordert werden, dass man ein wenig mehr Boden unter den Füßen haben musste. Etwas trockener dastand, nicht im Grundlosen schwamm.
    Die weizenblonde Kellnerin brachte seinen Kaffee und seinen Cognac.
    Er zündete sich eine Zigarette an.
    Ganz zu schweigen von der Mühe!
    Er schnupperte an seinem Cognac. Vielleicht war das der Hauptgrund, der ihn zurückhielt. Die Mühe. In der anderen Waagschale lagen die Bequemlichkeit und die Hitze – und wenn er sich wirklich dazu entschloss, etwas zu unternehmen, war dann nicht davon auszugehen, dass Jellinek und seine weibliche Troika ihn die Konsequenzen spüren lassen würden? Ihn dazu zwingen würden, wirklich die Verantwortung für die ganze Mädchenschar zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass jede Einzelne sicher nach Hause kam?
    Und es sprach wohl auch nicht viel dafür, dass die Eltern der Mädchen eine sehr viel wohlwollendere Einstellung der Polizeimacht gegenüber haben würden, als deren geistiger Führer gezeigt hatte. Schließlich hatte man ja die Sprösslinge selbst in dieses Lager geschickt, und ganz gleich, ob man nun vollkommen ahnungslos war oder nicht, so würden sie dennoch nicht nur freundlich dankend dastehen und ihre halbkonfirmierten Teenager drei Wochen zu früh entgegennehmen. So viel konnte sich jeder ausmalen. Sogar

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