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Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Der Kommissar und das Schweigen - Roman

Titel: Der Kommissar und das Schweigen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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in der
Abendpresse schon anders aussehen, aber er hatte so seine Zweifel, ob ihm das, was Kluuge da gemacht hatte, selbst so viel besser gelungen wäre.
    Und vermutlich das Wichtigste von allem: Nicht ein Wort über Jellineks Verschwinden, über die schweigenden Frauen und die zwölf Mädchen – aus dem einfachen Grund, dass Kluuge nichts davon berichtet hatte. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, wann diese Dinge durchsickern würden, aber es galt, so viele Stunden, gern sogar Tage, wie möglich Vorsprung zu bekommen.
    Und am allerwichtigsten: das Schweigen zu brechen, bevor die Zeitungen von allem Wind bekamen.
    Als er darüber nachdachte, merkte er, dass er eigentlich gar nicht so genau wusste, warum ihm diese Überlegung so wichtig erschien: diesen verdammten Propheten und seine schweigende Gemeinde vor den Augen der Welt zu schützen.
    Warum?
    Eine einigermaßen haltbare Antwort auf diese Frage tauchte nicht auf, nur ein intuitiv ihn dazu aufforderndes Pflichtgefühl, das sicher nicht einen Deut mit dem zusammenpasste, was er eigentlich von der ganzen Bagage hielt, das er aber dennoch nicht in Frage stellen wollte.
    Eine Art Zwickmühle wahrscheinlich. Zu vergleichen mit der schrecklichen Falle, in der die Polizei saß, wenn es darum ging, diese Naziwelpen gegen Gegendemonstranten zu schützen. Denn es war natürlich nicht in Ordnung, wenn die Glatzköpfe misshandelt und möglicherweise sogar erschlagen wurden, während die Polizei hinter der Ecke stand und an den Nägeln kaute.
    Oder?
    Auf jeden Fall dachte er nicht gern an Das Reine Leben. Sobald er anfing über diese Sachen wie Entsagung und Reinheit und über diese ahnungslosen Mädchen nachzudenken, spürte er Ekel in sich aufsteigen und wollte am liebsten gar nichts mehr davon wissen. Geschweige denn hören.
    Warum also nicht die Zeilenschinder darauf ansetzen? Warum
diese frömmelnden Scharlatane nicht an den Pranger stellen?
    Na gut, dachte er. Das muss mein Mutterinstinkt sein, der hier zum Tragen kommt.
    Oder verhielt es sich nur so, dass ihm schon im Voraus klar war, dass durch die Einmischung der Allgemeinheit und der Massenmedien dieses religiöse Brackwasser noch trüber werden würde? Sowohl in moralischer als auch in ermittlungstechnischer Hinsicht. Vielleicht kam diese Erklärung der Wahrheit näher, wenn man es genau nahm.
    Nach diesen humanistischen Überlegungen – und gestärkt durch eine bis dahin fast klinische Systematik – beschloss er zum Hauptproblem an sich überzugehen.
    Wer hatte Clarissa Heerenmacht ermordet? Und warum?
    Plötzlich tauchte das Bild ihrer Leiche wieder vor ihm auf. Das Scheinwerferlicht in dem dunklen Wald. Ihre blasse Haut. Die Marmorierungen und das Blut. Er musste daran denken, dass sie nicht einmal mehr ihren dreizehnten Geburtstag erlebt hatte, und spürte, wie die Hilflosigkeit wieder in ihm erwachte.
    Scheiße, dachte er und kühlte sein Gesicht mit dem klaren, kalten Wasser. Ich hätte sie gar nicht erst ansehen sollen. Hätte es lieber bleiben lassen sollen. Meine Quote an Leid – an dem Leid anderer – ist erfüllt.
    Vielleicht war es an der Zeit, eine Weile zu verharren, um die finsteren Gedanken zu vertreiben. Ich muss ja wohl nicht bis ins Herz der Dunkelheit vordringen.
    Mit einiger Mühe gelang es ihm, den Kanadier zu verzurren, indem er ihn unter einen heraushängenden Wurzelteil schob. Er schaukelte zwar noch ab und zu in der Strömung, schien aber ansonsten einigermaßen fest zu sitzen. Er öffnete den Schirm gegen die immer heißer brennende Sonne. Trank eine halbe Flasche Mineralwasser und aß ein Brötchen. Schob die Kissen in die richtige Position und legte sich zurecht. Wartete dann einige Minuten darauf, dass eine einigermaßen genaue und ausbaufähige Fragestellung auftauchen würde, aber das
Einzige, was sich einstellte, war die immer gleiche alte Verwunderung:
    Worum, zum Teufel, ging es hier eigentlich?
    Nicht besonders präzise. Er wäre der Letzte, der das nicht unterschrieben hätte.
     
    Also, nun einmal der Reihe nach:
    Zum Ersten: Eine unbekannte Frau ruft an und berichtet von einem Verschwinden. Als sie meint, die Polizei kümmere sich nicht genug darum, ruft sie noch einmal an.
    Frage: Wer ist sie?
    Weitere Frage: Warum ruft sie an?
    Er blieb eine Weile still liegen, ohne auch nur einen Finger zu rühren, während er diese Fragen in seinem Kopf hin und her wandern ließ. Vor allem die zweite – Welches Motiv hatte sie, die Polizei anzurufen? –, gab dann aber

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