Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Grimm’s lag) sowie ein paar Tomaten. Das war alles. Kein Bier, keine Zigaretten.
Denn es war geplant, dass es genau so ein Tag werden sollte. Ein Tag, an dem man Sachen und Dinge machte und sich dennoch jünger fühlte, wenn man sich abends ins Bett legte, als man es morgens beim Aufstehen getan hatte. Wie es eine gewisse Person – vermutlich nicht Reinhart – einmal ausgedrückt hatte.
Es war auch als ein Tag geplant, an dem er in Ruhe und Frieden – und noch dazu in splendid isolation – die Möglichkeit haben sollte, genauer zu durchdenken, was es eigentlich war, das dort in Waldingen passiert war.
So ein Tag sollte es werden.
Um die Prämissen abzuwägen, welche auch immer es waren, und um zu sehen, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen waren. Oder welche Wege einzuschlagen sich lohnen würde.
Sich bescheiden zurückzuhalten und der Stimme der Intuition zu lauschen vielleicht. Die aber ehrlich gesagt bis jetzt nicht besonders deutlich gesprochen hatte; aber wie auch immer: Wenn er den Montag, an dem die Leiche von Clarissa Heerenmacht gefunden worden war, als Tag Nummer eins betrachtete, dann war im Augenblick ja auch erst der Morgen des dritten Tags angebrochen. Wenn er andererseits von seiner eigenen Ankunft in Sorbinowo ausging, dann musste er natürlich zugeben, dass schon fast eine Woche vergangen war.
Dann war es vielleicht nicht viel mehr als ein frommer Wunsch, dass er an diesem Tag auf dem dunklen Wasser auf irgendetwas stoßen würde. Einen Zugang finden und die Gedanken von unnützem Gerümpel und Vorurteilen reinigen.
Das dachte der Hauptkommissar, während er mit dem Paddel arbeitete. Abwechselnd links und rechts. Er war gezwungen zu wechseln, denn der Ruderschlag, den er früher mal gelernt hatte, war dann doch etwas zu anstrengend. Außerdem war das ja wohl keine Unterrichtsstunde hier, oder?
Erst als er ein gutes Stück den Fluss hinauf gekommen war und die Strömung deutlich zu spüren war, konnte er langsam seine ungeteilte Aufmerksamkeit nach innen richten. Auf den Fall. Clarissa Heerenmacht. Waldingen.
Das Reine Leben. Die anonyme Frau.
Der Mörder?
Er zog den Takt immer mehr in die Länge, begnügte sich mit vereinzelten Paddelschlägen, um zumindest nicht zurück an die bewaldeten Strände getrieben zu werden. Hier war nichts als Natur, keinerlei Bebauung. Nur Nadelwald voller Gestrüpp mit einzelnen Erlen und Espen dazwischen, der sich bis ans Ufer erstreckte. Wurzelfäden und Lehmklumpen hingen ab und zu über den schmaler werdenden Fluss, nur ganz selten
tauchte eine Brücke auf ... in weniger als einer Stunde war er in eine Landschaft geraten, die fast die Bezeichnung Urwald verdiente, und ihm wurde noch deutlicher, welche Verlockung die Sorbinowogegend für Frischluftanhänger aller Kategorien bedeuten konnte.
Aber genug jetzt von Waldluft und Naturromantik! Der Fall. Konzentration.
Er begann mit dem gestrigen Tag. Zwang seine Gedanken zurück zur Pressekonferenz, die, wie er zugeben musste, Kluuge elegant gemeistert hatte. Die Verbindung zwischen dem Mord und dem Reinen Leben hatte er bis auf ein Minimum reduziert – Clarissa Herrenmacht war eines der Mädchen, die in dem Lager ihre Ferien verbrachten, sie hatte unter unbekannten Umständen das Lager verlassen und war später tot im Wald aufgefunden worden. Das war alles.
Keine Spur. Kein Hinweis. Nicht ein Wort von irgendwelchen anonymen Telefonanrufen.
Und keine konkreten Anhaltspunkte oder Theorien, nach denen man arbeiten konnte. Bisher jedenfalls nicht. Aber großes Personalaufgebot, und man tat, was man konnte... und für eine gewisse Verschwiegenheit hatten die Herren Journalisten in dieser Anfangsphase ja wohl Verständnis? Verzeihung, die Damen unter ihnen natürlich auch.
Etcetera. Nach fünfundzwanzig Minuten war alles vorbei, und er selbst hatte nur zweimal das Wort ergreifen müssen. Zweifellos ein gutes Zeugnis für Kluuge, und das insbesondere, wenn man bedachte, dass Servinus und Suijderbeck beide viel zu müde waren, um überhaupt den Mund zu öffnen. Es sei denn, sie mussten gähnen.
Bevor er sich an diesem Morgen auf den Weg gemacht hatte, hatte er noch zwei Zeitungen durchgeblättert, die er dann auch in seine Tasche gepackt hatte. Natürlich nahm der Mord seinen Platz ein – die Konstellation Sommer-Mord-junges-Mädchen hatte nun einmal ein gewisses Gewicht, aber dennoch war deutlich eine moderate Gangart festzustellen. Man hielt sich ganz einfach zurück. Das würde natürlich
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