Der Kommissar und das Schweigen - Roman
vornehmen. Die tun so, als wären sie Anwälte und Bodyguards in einem, sobald wir nur in die Nähe der Mädchen kommen ... Langsam fragt man sich, auf wessen Seite die eigentlich stehen.«
»Das Phänomen kenne ich«, sagte Van Veeteren. »Und was ist mit den Eltern? Trudeln sie so langsam ein?«
»Nein, ganz und gar nicht.« Kluuge stand auf und wischte sich mit einem feuchten Tuch die Stirn ab. »Jedenfalls bis jetzt noch nicht. Vier Stück haben von sich hören lassen, aber wir erklären immer, dass die Sache unter Kontrolle ist und dass wir die Mädchen gern noch ein paar Tage hier behalten würden. . . außerdem wollen sie gar nicht nach Hause.«
»Ach?«
»Anscheinend haben sie so eine Art heiliges Gelöbnis abgelegt oder wie immer man das bezeichnen will ... dass sie bleiben. Ja, ich weiß ja auch nicht, aber wir werden sehen, was passiert, wenn eine anfängt zu reden.«
»Mhm«, brummte der Hauptkommissar und schaute prüfend einen Zahnstocher an. »Wie heißt sie?«
Kluuge warf das Tuch in den Papierkorb und schaute in einer Mappe nach.
»Marieke Bergson. Ich war nicht da, als Lauremaa anrief ... so ungefähr vor einer Stunde.«
Er schaute auf die Uhr.
»Ich begreife nicht, warum das so lange dauert.«
»Du weißt nicht, was sie gesagt hat?«
Kluuge schüttelte den Kopf.
»Keine Ahnung. Soll ich uns schon mal einen Kaffee besorgen?«
»Ich denke schon«, sagte der Hauptkommissar. »Eine Coca Cola und so wäre sicher auch nicht schlecht. Oder was Die Andere Welt so zu bieten hat.«
Kluuge nickte und verließ das Zimmer, um die Getränkefrage an Frau Miller weiterzugeben. Van Veeteren schob den Zahnstocher zwischen die Zähne und wartete.
Das Mädchen mit Namen Marieke Bergson war blass und hatte verweinte Augen.
Als sie zusammen mit Inspektorin Elaine Lauremaa von der Haaldamer Polizei den Raum betrat – sowie einer grimmigen, aber gut gekleideten Kinderpsychologin, die ihren Namen, Hertha Baumgartner, auf der Brust festgeklebt hatte –, hatte der Hauptkommissar kurz die Assoziation eines Eierdiebs, der auf frischer Tat ertappt worden war.
Möglicherweise fühlte sich Marieke Bergson ja auch so. Sie setzte sich vorsichtig auf die äußerste Kante des ihr zugewiesenen Stuhls, legte die gefalteten Hände in den Schoß und betrachtete eingehend ihre roten Turnschuhe.
Frau Lauremaa setzte sich neben Van Veeteren. Die Psychologin stellte sich hinter das Mädchen, legte die Hände auf deren Stuhllehne und ließ ihren Blick über die übrigen Anwesenden schweifen, wobei sie skeptisch blinzelte und die Lippen zu einem dünnen Strich zusammenkniff.
Kluuge räusperte sich zweimal und stellte dann alle einander vor. Das dauerte zehn Sekunden. Anschließend blieb es noch weitere fünf Sekunden still.
Es müsste jetzt jemand etwas sagen, dachte Van Veeteren, aber stattdessen klopfte es an der Tür und Frau Miller tauchte mit Kaffee, Erfrischungsgetränken, Chips und einigen anderen Kleinigkeiten auf.
»Ich möchte, dass Sie sich genau überlegen, was Sie sagen«, erklärte die Psychologin, als Frau Miller verschwunden war.
»Eine gute Idee«, sagte Van Veeteren.
»Marieke hat eine schwere Entscheidung getroffen, sie steht unter starkem Druck, und eigentlich bin ich gar nicht damit einverstanden, dass sie einem Verhör unterzogen wird. Das möchte ich nur gesagt haben.«
Lauremaa seufzte. Sie war eine ziemlich kräftige Frau um die fünfundvierzig, und der Hauptkommissar spürte eine gewisse spontane Sympathie für sie. Vermutlich eine Frau mit drei Kindern und gesundem Menschenverstand. Vielleicht nicht besonders diplomatisch.
Kluuge hatte noch keine eigenen Kinder, aber er goss erst einmal Kaffee ein und schien ein wenig in seine alte Unsicherheit zurückgefallen zu sein.
Also bleibt es an mir hängen, dachte Van Veeteren. Wahrscheinlich auch nicht schlecht.
»Vielleicht wäre es etwas einfacher, wenn wir nicht so viele sind«, schlug er vor.
»Ich bleibe an Mariekes Seite«, erklärte die Psychologin. Lauremaa und Kluuge warfen sich einen Blick zu. Dann nickte Kluuge zustimmend und stand auf.
»Ich denke, wir werden es aufnehmen«, sagte der Hauptkommissar.
Kluuge und Lauremaa verließen das Zimmer. Nach einer Minute kam Kluuge mit einem Kassettenrekorder zurück.
Dann ist es also wieder einmal soweit, dachte der Hauptkommissar.
»Wie heißt du?«, begann er.
»Marieke«, antwortete das Mädchen, ohne aufzusehen.
»Marieke Bergson?«
»Ja.«
»Hast du einen trockenen
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