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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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wenn der gute Herr Diakon zur Hohenweide in einem solchen Etablissement bei einer Hexe gesehen werden würde! »Macht Ihr auch private Vorhersagen?«
    Die Männer grölten, doch die rote Witwe schenkte ihnen keine Beachtung. »Wer es sich leisten kann, dem lege ich die Karten auch ohne unerwünschte Zuhörer.«
    »Das kann ich.« Er warf einen Beutel Münzen auf den Tisch.
    Sie wog ihn prüfend in der Hand, um dann zufrieden zu nicken. »Rothgar wird Euch den Weg zeigen. Ich komme nach, wenn ich diesen braven Männern ihre Zukunft vorhergesagt habe.«
    Sie schenkte der angetrunkenen Bande ein bezauberndes Lächeln, das über die Kälte ihrer Augen hinwegtäuschte.
    Der Wirt führte den Hexenjäger in ein Zimmer, das seinem eigenen nicht unähnlich war, nur dass hier offensichtlich eine Frau zu leben schien. Der Boden war blitzblank, auf dem Bett lag eine dunkelrote Samtdecke, und den Tisch deckte eine zarte Spitzendecke.
    »Wohnt sie hier?«
    Rothgar verneinte. »Sie geht hier nur ihrem Gewerbe nach.«
    »Und dafür braucht sie ein Bett?«
    »Ich stelle keine Fragen. Sie ist gut fürs Geschäft.«
    Das glaube ich gerne . Nachdem Rothgar hinausgegangen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging Silas zum Fenster und zog die Fensterläden zu. Dann zündete er eine Öllampe an. Das war ja fast romantisch, dachte er sich. Ein zynisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er sich an Hela erinnerte. Wollte er wirklich schon wieder etwas mit einer Hexe anfangen? Er wusste doch, dass das nie gut endete. Rothgar wäre wohl nicht gerade begeistert, wenn er seine Kneipe verwüstete und dabei eine Frauenleiche zurückließ.
    Die Tür öffnete sich leise. Gismara trat ein. Noch immer trug sie ihre Maske. Silas bewunderte ihre schmale Taille und ihr kleines Hinterteil. Schade nur, dass sie nicht sehr viel Oberweite besaß.
    »Ihr seid nicht das, was Ihr vorgebt zu sein.«
    »Braucht Ihr nicht Karten, um dies zu sehen?«
    »Manche Dinge sind so offensichtlich, dass sie selbst ein Blinder sieht.«
    »Ich bin, wer ich bin.«
    »Und dennoch tretet Ihr als einfacher Mann auf, obwohl Ihr von adliger Herkunft seid. Ich mag es nicht, wenn man versucht, mich zu überlisten.«
    »Verraten Euch das Eure Karten?« Silas’ Finger trommelten auf den Tisch. War sie womöglich doch eine Saga?
    »Nein, Eure Aussprache. Ebenso wie ich den Weihrauch an Euren Kleidern riechen kann. Was für ein Grund treibt einen Kirchgänger dazu, eine Hexe aufzusuchen?«
    »Vielleicht weil er die Wahrheit sucht?«
    »Hat das einen Mann jemals interessiert?«
    Silas ging im Kopf die Liste der Hexenarten durch. Welche davon konnte er vor sich haben? Die rote Witwe war zu jung und schön für eine Striga, besaß nicht die goldenen Augen einer Hagzissa, ihr Auftreten war zu forsch für eine Saga, und der faulige Geruch einer Pythonissa fehlte. Blieben noch Maleficia und Incantatrix. Aber warum sollte sich eine wahre Hexe als Saga ausgeben? Er brauchte Eisen! Der einzig zuverlässige Weg, eine Incantatrix zu identifizieren, war, sie mit Eisen zu berühren. Das Metall verbrannte ihre Haut sofort, während es allen anderen Hexenarten keinen Schaden zufügte. Aber wollte er wirklich riskieren, sich in einer vollen Kneipe mit einer Incantatrix oder Maleficia auseinanderzusetzen? Er durfte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sein Blick fiel auf ihre Hände, sie trug Handschuhe. War das wirklich nur ein Zufall oder ein unauffälliger Schutz?
    »Legt mir die Karten. Ich verspreche, dass ich Euch heute kein Leid zufügen werde.«
    Sie zögerte. Der Tag würde in wenigen Stunden enden. Seine Worte beunruhigten sie.
    Gismara deutete auf den Tisch, nahm die Spitzendecke herunter und stellte das Gesteck zur Seite, bevor sie aus ihrer Tasche ein Bündel geschliffener Scherben und eine blaue Kerze hervorholte.
    Silas nahm ihr gegenüber Platz und beobachtete gespannt ihre Bewegungen. Nachdem sie ihre Vorbereitungen abgeschlossen hatte, ergriff sie seine linke Hand. Er fühlte ihr warmes Fleisch unter den Handschuhen und spürte Lust in sich aufkeimen. Beherrsche dich, ermahnte er sich. Seine Schwäche für alles, was einen Rock trug, war seiner Arbeit wahrlich nicht zuträglich.
    Dann warf sie mit der rechten Hand die Scherben leicht in die Luft, sodass sie klimpernd auf dem Tisch lagen. Sie musterte sie einige Minuten schweigend, bis der Hexenjäger ungeduldig wurde und versuchte seine Hand wegzuziehen.
    »Wartet«, befahl sie ihm. »Eure Zukunft ist geprägt von

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