Der Kraehenturm
einziger Trost war die aufrichtige Betroffenheit gewesen, die er in den Gesichtern der großen Trauergesellschaft ablesen konnte. Man würde Zacharas nicht so schnell vergessen.
Es ärgerte ihn, dass er dem Mörder keinen Schritt näher gekommen war. Oswald hatte ihn am Morgen überrascht und eine etwas andere Beichte abgelegt, leider ohne neue Erkenntnisse mitzubringen. Für den Hexenjäger blieb damit nur eine Verdächtige: die Hexe, die der Ministrant erwähnt hatte. Zweifellos brachte jemand von dieser verschlagenen Brut es fertig, einem harmlosen Priester Leid zuzufügen. Aber so sehr er sich auch bemühte, er fand keinen Hinweis auf sie. Sämtliche Messdiener, Akolythen, Priester und was sonst noch an gläubigem Gesocks in der Kirche beheimatet war, wussten nur, dass Zacharas sich mit einer atemberaubend schönen Frau getroffen hatte, die angeblich eine alte Bekannte gewesen war.
Silas stürzte sein Bier schnell hinunter und bestellte sogleich ein weiteres. Vielleicht war es ja auch gar keine Hexe, sondern nur eine Frau, die ihrem Gatten untreu geworden war. Ein gehörnter Mann war zu jedem Mord fähig. Silas schüttelte den Kopf und stocherte lustlos in seinen verkochten Bohnen herum. Dieser Gedanke war geradezu absurd, sein Bruder hätte nie sein Zölibat gebrochen. Die runde Brünette stellte gerade einen Krug Schwarzbier auf seinen Tisch, als ein Raunen durch die Menge ging. Eine rothaarige Schönheit, ganz in Rot gekleidet mit einer Maske, die ihre Augen verdeckte, betrat den Raum.
»Die rote Witwe«, flüsterte das Mädchen ehrfürchtig.
»Wie?«
»Die rote Witwe.«
Silas seufzte. Die Brünette war offenbar nicht ganz hell im Kopf.
»Sagt bloß, Ihr kennt sie nicht?«
Sonst hätte ich wohl nicht gefragt. »Ich bin neu in der Stadt.«
»Ach so, ja dann. Sie ist eine Wahrsagerin.«
Silas zuckte zusammen. Sollte er plötzlich einen Hinweis auf den Hexenzirkel gefunden haben? Die hundert Gulden Belohnung konnte er gut gebrauchen, um seine Nachforschungen zu finanzieren. Zudem konnte er so vielleicht auch etwas über die angebliche Hexe in Erfahrung bringen. mit der Zacharas Kontakt gehabt hatte. Als Diakon verfügte er nur über wenig Geld. Er hätte sich zwar auch auf andere Weise ein Zubrot verdienen können, aber er wollte Oswald nicht in das ohnehin schlechte Geschäft pfuschen.
»Seid vorsichtig. Sie ist wie eine dieser Spinnen, diese Witwen-Dinger, die Männer auffressen. Da sie immer Rot trägt, nennt man sie die rote Witwe.«
Die Brünette war wirklich nicht besonders schlau. Wie lange es wohl gedauert hatte, bis sie die Zusammenhänge verstanden hatte? Silas drückte ihr eine Münze in die Hand. »Danke.« Es gab keinen Grund, seine miese Laune an dem Mädchen auszulassen.
An seinem nächsten Bierkrug nippte er nur, während er die Wahrsagerin beobachtete. Eine echte Saga hätte es nie gewagt, so offen aufzutreten, sie hätte ihre Macht heimlich ausgeübt. Hatte er es mit einer Hochstaplerin zu tun? Er sah, wie sie lachte und mit den Männern flirtete, denen sie die Karten legte und die Zukunft aus Spiegelscherben vorhersagte. Es gab nur eine Möglichkeit das herauszufinden. Er warf ein paar Münzen auf den Tisch und schlenderte zur roten Witwe hinüber. Ihr spitzes Kinn und die schmalen Lippen verliehen ihr trotz ihres Lachens eine berechnende Kälte. Hexe oder nicht, mit ihr sollte sich ein Mann nicht anlegen.
Der Hexenjäger setzte sich zu der Gruppe, die sich um die schöne Frau versammelt hatte. Er beobachtete, wie Rothgar sie mit offensichtlich gemischten Gefühlen vom Tresen aus im Auge behielt. Silas konnte sich vorstellen, was in dem Mann vorging. Auf der einen Seite musste es ihm gefallen, dass diese Attraktion sein Geschäft ankurbelte, auf der anderen Seite strapazierte er die Geduld der Wachen sehr, wenn er eine Hexe in seiner Kneipe duldete. Die Kirche besaß noch immer große Macht in Heidelberg, auch wenn sie durch den Streit der Katholiken, Reformierten, Jesuiten, und wie das ganze Pack sich nannte, geschwächt war.
Während er der roten Witwe lauschte, musste er sich eingestehen, dass sie gut war. Sie gab den Männern, was sie wollten, sprach von Reichtum, Frauen, vielen Kindern und Gesundheit. Um es glaubwürdig zu halten, mischte sie hin und wieder mal eine Prise Unglück bei.
Nachdem sich Silas das Spiel eine Weile angeschaut hatte, beschloss er einen Vorstoß zu wagen. Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Was für ein Skandal,
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