Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
Vom Netzwerk:
seinen Zorn auf mich gezogen hatte. Er wollte sich deshalb an mir rächen und sprach bei Cäcilies Vater vor. Da er im Gegensatz zu mir reich und aus gutem Haus war, gab dieser ihm Cäcilie zur Frau.« Der Chronist umklammerte die Tischkante, presste sie so hart zusammen, dass das Holz knirschte. »Doch er wollte sie nicht als Gemahlin, niemals rührte er sie an, und als sie nach zwei Jahren kein Kind in sich trug, schaffte er sie heimlich in ein Kloster und spielte den unglücklichen Gatten. Sie starb wenige Monate später an gebrochenem Herzen.«
    »Dann verlangt es Euch nun nach Rache?« Icherios war enttäuscht. Hinter all diesen Ränken steckte nicht mehr als eine unglückliche Liebe?
    »Wäre das so falsch? Aber es ist wahrlich nicht der einzige Grund für meine Sorge. Seit Jahren beobachte ich Auberlin. Seltsame Ereignisse, Todesfälle und das Verschwinden von Menschen häufen sich in seiner Umgebung. Ich vermochte ihm nur noch nie etwas nachzuweisen.«
    Icherios sank in den Sessel, als er begriff. »Ihr habt Vallentin nach Heidelberg geschickt, um Beweise gegen Auberlin zu sammeln. Und nun, da er tot ist, benutzt Ihr mich.«
    »Irgendjemand muss ihn aufhalten.«
    »Ich muss jetzt erst mal darüber nachdenken.« Der junge Gelehrte stand langsam auf.
    Freyberg drehte sich zu ihm um. »Denk nicht zu lange nach, Jungchen. Er ist gefährlich.« Seine Stimme versagte für einen Augenblick. »Ich will dich nicht auch noch verlieren.« Icherios blickte ihn skeptisch an. Sollte er ihm etwa vertrauen? Dem Mann, der offen zugab, ihn zu benutzen?

16
    Die Andreasnacht
    G
    31. Octobris, Karlsruhe
    D as kalte Metall brannte auf Icherios’ Haut. Mit einem lauten Klacken schlossen sich die Ketten um seine Handgelenke. Er war gefesselt; angekettet an eine Wand, die von einem schleimigen Film überzogen war, in dem sich kleine, schuppige Wesen tummelten.
    »Die Füße auch.« Raban ergriff eine weitere Eisenkette und legte sie um die Knöchel des jungen Gelehrten. Sein goldbestickter Mantel sog sich langsam mit der dreckigen Brühe voll, die den Boden bedeckte. Der Saum war schon ganz grau braun eingefärbt.
    Goldene Lampen erhellten das Verlies, konnten ihm aber nichts von seiner Trostlosigkeit nehmen. Icherios blickte durch das schmale, vergitterte Kellerfenster in den grauen Abendhimmel. Würde er in dieser Nacht tatsächlich zu einem Strigoi werden, dieser verstandeslosen Bestie voller Verlangen nach Blut und Fleisch? Bisher verspürte er jedenfalls nichts davon.
    Trotz seiner verbliebenen Zweifel ließ er sich an diesem letzten Abend im Oktober, an dem die aufziehenden Wolken so tief hingen, dass man glaubte, sie mit den Händen ergreifen zu können, in dem Keller seines ehemaligen Mentors anketten. Diese Nacht, in der Jungfrauen hofften, im Wasser das Ebenbild ihres zukünftigen Gatten zu sehen, war zugleich die Nacht der lebenden Toten.
    Raban trat zurück und betrachtete ihn. »Das sollte reichen.« Es war das erste Mal, dass er ihm ins Gesicht sah, seit sie die Treppen hinuntergestiegen waren.
    Der junge Gelehrte nickte stumm und verschränkte seine zitternden Finger ineinander. Raban wirkte kalt und mitleidslos. Nachdenklich blickte er in dessen grünbraune Augen, Zweifel an seiner Zuverlässigkeit keimten in ihm auf. Prüfend zog Icherios an den Ketten. Die Verankerung hielt, die Glieder gingen gleichmäßig ineinander über. Sollten sie dennoch reißen, gab es eine weitere Absicherung: ein Käfig mit fingerdicken Eisenstäben, die eine dicke Rostschicht bedeckte und dadurch wie in Blut getaucht wirkten. Icherios’ lange, schmale Finger klammerten sich an dem Gitter fest, als Raban den Käfig verriegelte. Obwohl Raban ein großer Mann war, überragte der junge Gelehrte ihn um einige Fingerbreit.
    »Wird es wehtun?«
    Ein kurzes Aufblitzen von Mitleid zeigte sich in den Zügen des alten Vampirs. »Vermutlich. Aber es wird vorübergehen.« Er streckte eine Hand durch die Gitterstäbe, tätschelte Icherios’ Schulter und ging dann zur eisenbeschlagenen Tür. »Ich werde dich morgen früh wieder herauslassen.«
    Im Geräusch, welches das Einrasten des Schlosses begleitete, schwang etwas Endgültiges mit. Icherios wusste trotz aller Zweifel, dass er nicht mehr derselbe sein würde, wenn er den Keller wieder verließ. Er drehte sich zurück zur Wand und lehnte sich gegen den kalten Stein. Er fühlte sich einsam und hatte eigentlich auf Rabans Gesellschaft und seinen Beistand in dieser Nacht gehofft. Sein ehemaliger

Weitere Kostenlose Bücher