Der kranke Gesunde
Wie viele Ärzte haben Sie schon aufgesucht? Hat sich das, was Ihnen empfohlen wurde, manchmal widersprochen? Hatten Sie wegen Ihrer Krankheit Schuldgefühle? Haben Sie sich für etwas geschämt? Waren Sie zornig, weil keiner Sie versteht? Hat jemand Ihnen wegen Ihres Leidens psychische Probleme unterstellt? Hat sich im Verlauf dieser Zeit die Beziehung zu Ihrem Partner, Ihren Kindern oder Ihren Arbeitskollegen verändert?
Was ist Psychosomatik?
Wenn Martin, Bettina und die anderen über das Wort »psychosomatisch« nachdenken, fallen ihnen zuerst die üblichen Vorurteile ein. Wenn das »psychosomatisch« z. B. mit »geisteskrank« gleichgesetzt wird, erscheint der Betroffene unberechenbar – man wird ihm gegenüber vorsichtig. Andere verbinden damit, jemand würde mit seinen Problemen nicht fertig, was als Zeichen von Schwäche gilt. Nicht selten wird der psychosomatisch Kranke als der »eingebildete Kranke« betrachtet. Ein Kollege mag einen »psychosomatisch Kranken« für faul halten. Und wer möchte schon »psychosomatisch« krank sein, wenn ihm solche Dinge unterstellt werden?
Info
Was bedeutet der Begriff »Psychosomatik«?
Das Wort stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus Psyche = Seele und Soma = Körper, spricht also den Zusammenhang zwischen seelischen und körperlichen Vorgängen an. In diesem Buch werden wir mal vom »Körper« und mal vom »Soma« sprechen. Beide Begriffe bedeuten das Gleiche. Das Verständnis darüber hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr gewandelt.
Psychosomatik hat zunächst also nichts mit Krankheit zu tun, sondern nur mit dem ganz normalen Zusammenspiel von Psyche und Soma – im Zustand der Gesundheit ebenso wie in dem der Krankheit. Allerdings ist mit der Aussage »Das ist psychosomatisch« gemeint, dass eine körperliche Störung seelische Ursachen habe. Wie die Seele auf den Körper einwirkt, ist damit noch lange nicht erklärt. Sehr kränkend ist es, wenn mit einer solchen Aussage verbunden wird, jemand sei »seelisch krank«. Eine solche Unterstellung verletzt die Würde eines Menschen und ist außerdem falsch.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass seelische Probleme niemals einseitig körperliche Erkrankungen auslösen. Es gibt Menschen mit großen seelischen Konflikten und Problemen, die körperlich absolut gesund und beschwerdefrei sind.
Es ist deshalb richtiger und menschenwürdiger anzunehmen, dass Körper und Seele sich gegenseitig beeinflussen (die Seele den Körper und der Körper die Seele). Außerdem tritt diese Wechselwirkung immer – also nicht nur bei Krankheiten – auf. Und niemals ist eine Seite die alleinige »Ursache« von Störungen auf der anderen Seite. Psychosomatik so gesehen spricht nichts anderes als dieses ständige Wechselspiel an. Psychosomatische Krankheit bedeutet dann, dass die Wechselwirkung gestört ist bzw. dass die Art dieser Wechselwirkung von Betroffenen oder Betreuern nicht verstanden wird. Mit Krankheit auf einer dieser Seiten – der Seele – hat das nichts zu tun. Wenden wir uns zuerst der Psychosomatik im Zustand der Gesundheit zu.
Psychosomatik im Zustand der Gesundheit
Die Umgangssprache kennt viele Formulierungen, in denen der Zusammenhang zwischen Körper und Seele zum Ausdruck gebracht wird: sich den Kopf zerbrechen; etwas schlucken; etwas ist auf den Magen geschlagen; die Galle kommt hoch; das Herz ist gebrochen; der Atem steht still; etwas geht unter die Haut usw. Diese Formulierungen zeigen bildhaft, dass unsere Körperorgane auf Belastungen reagieren.
Außerdem gehört zu jedem seelischen Vorgang, zu jedem Gefühl, ein bestimmter Gesichtsausdruck, der mit Veränderungen der Gesichtsmuskulatur verbunden ist. Einige Wissenschaftler nehmen sogar an, dass wir zuerst körperlich mit unserer Gesichtsmuskulatur auf eine Situation reagieren und erst dadurch das dazugehörige Gefühl wahrnehmen. Erst anhand solcher Muskelreaktionen im Gesicht können wir nach dieser Theorie einzelne Gefühle erkennen und unterscheiden.
Und schließlich gehören zu jedem Gefühl spezielle Veränderungen in bestimmten Organen (Herzklopfen, Magenbewegungen, Blutgefäßerweiterungen usw.). Mediziner sprechen von Reaktionen des »vegetativen Nervensystems«. Bei starker Erregung werden Hormone ausgeschüttet, die sehr rasch Körperveränderungen bewirken. Jeder kennt das Gefühl, wenn es ihm »kalt den Rücken herunterläuft« (dann wird nämlich das Hormon Adrenalin in die Blutbahn ausgeschüttet).
Gefühle,
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