01 - Neptun kann warten
Vorspiel Erwachen in den Tiefen der Zeit
Die Höhle war kalt, selbst für den langsamen Energiefluss der fremdartigen Mechanismen des Translators. Das Quarx fühlte diese Kälte nicht, die fast am absoluten Gefrierpunkt lag, doch war es sich ihrer sehr wohl bewusst, als es in der Stille eines lautlosen Planeten geweckt worden war. Sein erster Eindruck war nicht von einem Ort bestimmt, sondern von Zeit, von gewaltigen Zeitkorridoren, durch die es getrieben war, in einem Zustand, der fast dem Dasein in einem Sarg gleichkam.
Was bedeuteten schon Millionen von Jahre, wenn man selbst schlief, wenn die eigenen Lebensvorgänge festgehalten wurden wie Elektronen in den Händen eines Engels? Was bedeutete das Verstreichen von Zeit – außer dass, wieder einmal, alle sterblichen Lebewesen, die das Quarx gekannt hatte, dahingegangen waren?
Das Erwachen war schwierig und verwirrend. Es gab so viel, woran es sich erinnern musste … und so viel mehr, was es zu lernen galt. Der Translator des Quarx’ hatte diese Verwirrung erwartet und hielt schon Informationen und Erklärungen bereit – nicht zu viel auf einmal, aber genug. Sie befanden sich in einem Planetensystem, in dessen Zentrum eine gelbe Sonne glühte; gleichwohl war diese Sonne bei der Entfernung, in der sie sich zu ihr befanden, lediglich ein Lichtfleck am Himmel. Aber es gab hier noch andere Planeten, die dem Stern näher waren; dort existierte Leben, das sich weiter in den Weltraum hinaus wagte.
Das Quarx und sein Translator warteten und lauschten – mit zunehmendem Interesse. Es gab viel, was sie wissen mussten, doch mussten sie dabei stets an ihre Aufgabe denken. Die Aufgabe. Das Quarx vertraute darauf, dass der Translator wusste, worin die Aufgabe eigentlich bestand. Es kannte den Translator seit Jahrmillionen, begriff aber noch immer nicht ganz, wie dieser dachte … oder wie diejenigen dachten, die ihn erbaut hatten. Vielleicht hatte das Quarx derartige Dinge einst verstanden, doch hatte es viel von dem, was es einst gewusst hatte, wieder vergessen. Wie viele Planeten hatte es besucht, wie viele Sonnen, wie viele Lebensformen? Es wusste es nicht, konnte sich nicht mehr erinnern.
Aber es wusste genug, um dem Translator zu vertrauen. Der Translator war es, der den Himmel mit seinen Bewusstseinsranken absuchte, und er war es auch, der die fast unendlich komplexen Algorithmen des Chaos’ berechnete … und es war der Translator, der sich in den Tiefen seiner Erinnerungen daran entsann, warum sie hierher geschickt worden waren und was sie hier tun sollten.
Schritte! Besucher! Das Quarx hatte nicht lange warten müssen – kaum der Rede wert, wenn man es mit den Äonen verglich, die zuvor vergangen waren. Der Translator hatte dafür gesorgt, dass Überbleibsel aus der Vergangenheit des Mondes durch Konvektion zur vereisten Oberfläche aufgestiegen waren, wo Spuren möglicherweise wahrgenommen würden. Sobald die Besucher in der Nähe wären, würden sich das Quarx und sein Translator völlig still verhalten, aber sie würden mit der Suche beginnen … nach dem richtigen Individuum, nach jemandem, der bereit wäre, alles im Dienste der Aufgabe aufzugeben.
Die Aufgabe. Das Quarx fühlte bereits, wie dringlich diese Aufgabe war. Die Berechnungen schritten fort, waren aber noch nicht abgeschlossen. Doch das Quarx wusste, dass es um Leben und Tod ging – wie immer –, um das Leben von mehr Individuen, als es zu zählen vermochte. Und es wusste, dass sein eigenes Leben – wie immer – entbehrlich war.
Zudem wusste es, dass es nicht alleine handeln konnte.
Es gab nur sehr wenige, die für das Unterfangen in Frage kamen, weil sie die Kombination der richtigen Eigenschaften aufwiesen – das richtige Potenzial Doch sie brauchten nur einen Einzigen. Aber den bald. Sie hatten sich an die geologische Zeitrechnung gewöhnt, nach der die Zeit langsam wie ein Gletscher vorankroch, aber nun standen die Dinge im Begriff, sich drastisch zu ändern; die Situation stand im Begriff, sich mit Lichtgeschwindigkeit zu entwickeln …
Allmählich kristallisierte sich ein Individuum heraus. Je länger das Quarx und sein Translator dieses Individuum beobachteten, um so mehr stieg ihre Hoffnung. Er war derjenige, der um die Anwesenheit anderer in seinem Verstand wusste, der sich zu Hause fühlte in den Gezeitenbewegungen des Datenstroms und in dem langsamen Rinnsal sich vermischender Bewusstseinssphären. Dieses Individuum hatte erst vor kurzem den Kontakt zu jenen Sphären
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