Der kranke Gesunde
tienten nehmen hier zum Beispiel bestimmte aufrechte Körperhaltungen ein, von denen man weiß, dass die Psyche auf einen solchen Körper mit Klarheit, Kraft und Wohlbefinden reagiert. Umgekehrt nutzt man den Körper als Wahrnehmungsinstrument, um das eigene emotionale Befinden tiefer und klarer zu ergründen.
Die Psyche kann ihr Soma beobachten
Menschen mit psychosomatischen Beschwerden machen nicht solche fruchtbaren Erfahrungen, wenn sie ihren Körper beobachten. Ihre Erfahrungen mit ihrem Körper sind unangenehm: Er stört, er schmerzt, er zeigt merkwürdige Vorgänge, für die man keine Erklärung hat. Der natürlichsteUmgang mit unerklärlichen unangenehmen Vorgängen ist: Man sucht nach einer Erklärung. »Psychosomatiker « wie Martin, Oliver und Nora betreiben diese Suche sehr ausführlich. Später beteiligen sich dann Angehörige und viele Experten an diesen Beobachtungen und Erklärungsversuchen. Wer sagt, es handele sich bei den unangenehmen körperlichen Vorgängen um den Ausdruck »psychischer Erkrankungen «, fügt einfach eine weitere Erklärung bei, indem er der Psyche die Schuld gibt. Manchmal helfen diese Erklärungen, manchmal erzeugen sie eher neue Probleme.
Jede Psyche sucht nach Erklärungen. Will man die Psyche eines Menschen mit »psychosomatischen Erkrankungen« verstehen, sollte man folgendes »Gesetz« des Psychischen kennen: Jede Psyche strebt nach ihr sinnvoll erscheinenden Erklärungen für das, was ihr neu oder unangenehm ist. Das gilt auch für Neues oder Unangenehmes in ihrem eigenen Körper. Die Psyche »psychosomatischer Patienten« hat sich meistens sehr gut entwickelt in der genauen Beobachtung und Bewertung ihres Soma, ihrer Körpervorgänge. Man kann diese Fähigkeit der Körperbeobachtung der »Psychosomatiker« jenen Menschen gegenüberstellen, die die Beobachtung ihres Körpers aus den Augen verloren haben, ihrem Soma gleichgültig gegenüberstehen, dessen Warnzeichen übergehen oder gar mit ihrem Körper schädlich umgehen und ihm Stoffe zuführen, die zwar der Psyche guttun, aber dem Körper schaden (Drogen).
… bis dass der Tod euch scheidet. Wenn wir von diesem Zweiweltenmodell ausgehen, bei dem die Psyche ihr Soma beobachtet, können wir uns auch die gemeinsame Geschichte dieses »bis zum Tode« aneinander gebundenen »Paars« ansehen. Sie beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. In dieser auf irdischer Ebene unlösbaren Einheit von Psyche und Soma finden – wie bei anderen Paaren auch – notgedrungen immer wieder gegenseitige Irritationen und Konflikte statt. Wenn sich der Körper ändert, ist die Psyche irritiert. In seiner Psyche macht sich der Mensch ein Bild von seinem Körper: Er sieht sich z. B. mehr oder weniger attraktiv und kräftig oder hässlich und schwach.
Veränderungen in ihrem Körper durch Krankheiten, Unfälle oder Alterungen kann die Psyche nicht übergehen und oft nur schwer verkraften. Sie muss sich – davon irritiert – dann selbst an diese neue »Körper-Umwelt« anpassen. Und dazu muss und kann sie nur sich selbst und nicht den Körper ändern. Körperveränderungen bis hin zu neu und dauerhaft eintretenden Behinderungen sind aus dieser Sicht zunächst zwar reine Körpervorgänge. Das Fühlen und Wissen, körperlich belastet oder behindert zu sein und dabei nun anders als früher oder anders als andere zu sein, ist aber ein Vorgang, der nicht im Körper, sondern ausschließlich in der Psyche stattfindet.
Das hat eine für die Therapie psychosomatischer Probleme wichtige Konsequenz: Die mit dem Körper unglückliche Psyche darf die Verantwortung für ihr Unglück nicht ihrem Körper geben. Die Verantwortung für ihr Glück und Unglück mit ihrem Körper trägt allein die Psyche. Ein seltsamer, aber wahrer und wichtiger Gedanke: Im Körper gibt es nicht Glück und Unglück – das gibt es nur in der Psyche.
Die Psyche als Beobachterin ihres Körpers
Wann richten wir die Aufmerksamkeit auf unseren Körper? Meistens dann, wenn es in ihm anders läuft als erwartet oder wenn dieser sich unangenehm »zu Wort meldet«. Also bei Schmerz, Übelkeit, ungewöhnlichen Veränderungen etc. Dass die Zähne jetzt gerade nicht wehtun und es am Bein nicht juckt, nehmen wir im Normalzustand nicht bewusst wahr.
Zentral für die Körperbeobachtung sind innere Wahrnehmungsorgane, die aus Nervenbahnen und Sensoren bestehen, anhand derer unsere Psyche sich »Informationen« über den eigenen Körper holt: über den Grad seiner Spannung und Entspannung,
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