Ein Mörder unter uns
ERSTES KAPITEL
D as Haus war auf zwei
verschiedenen Ebenen gebaut, vielleicht um es den zerklüfteten Felsen der Palisades anzupassen, auf denen es thronte
und irgendwie nervös den steil zum Pazifischen Ozean abfallenden Abgrund
hinabzublicken schien. Ich drückte auf den Klingelknopf und hörte, wie die
Schelle die Geräuschkulisse des modernen Jazz übertönte, der ebenso seelenlos
wie brillant gespielt wurde. Dann öffnete sich die Tür, und eine beschickerte , sachte vor mir schwankende Blondine erschien.
Sie trug grell lohfarbene Hosen, die sich hauteng um ihre Hüften legten
und oberhalb eine verblüffend nackte Fläche bis zu dem weißen Seidentuch
freiließen, das sorglos um die kleinen spitzen Brüste geknotet war. Ihr Haar
hing ihr bis zu den Schultern herab, ihr Mund war mit Lippenstift verschmiert,
und der grüne Lidschatten war im Begriff, über die hohlen Wangen zu laufen. Ein
Blick in ihre Augen — sie waren trübe, und wenn sie blinzelten, mußte es eine
Art schmatzenden Laut geben — und die Lidschatten hatten mein volles
Verständnis. Ich hätte in ihrem Fall auch gemacht, daß ich davongekommen wäre.
Die Blonde kicherte. »Es ist
spät«, sagte sie mit schmollender Stimme. »Wohnen Sie vielleicht hier ?«
»Ich bin Rick Holman «, antwortete ich. »Lester Knight hat mich angerufen
und gesagt, es sei dringend .«
»Wenn dieser Kerl besoffen ist,
wird jede Kleinigkeit dringend .« Sie kicherte erneut
und fuhr sich mit den Händen langsam über ihre mageren Hüften. »Ich muß es
schließlich wissen, Mister .«
Bei erotischem Geplänkel ziehe
ich vor, meine Gesprächspartnerinnen selber auszusuchen, und die beschickerte Blonde sah so aus, als könnte sie sich zu
einem Problem entwickeln, wenn ich mich der Hoffnung hin gab, ein vernünftiges
Wort aus Knight herauszubekommen. Ich trat in den Flur, umklammerte mit beiden
Händen ihre Taille und hob sie dreißig Zentimeter in die Luft. Sie kicherte
noch immer schrill, als ich sie vor die Haustür setzte und sie ihr vor der Nase
zuschlug.
Lester Knight war einer der
drei erfolgreichsten unabhängigen Filmproduzenten Hollywoods; aber nach dem
Eindruck zu urteilen, den ich bekam, als ich ins Wohnzimmer trat, war das kaum
zu glauben. Er lag aus gestreckt auf einer Couch, ein Glas thronte behaglich
auf seinem leichten Schmerbauch, und den leeren Gesichtsausdruck hatte ich
bisher als ein den Hollywooder Starlets vorbehaltenes
Gütezeichen betrachtet.
»Meine Verehrung für Sie hat
mich veranlaßt, halb zwei Uhr nachts aus dem Bett zu steigen und sofort zu
Ihnen zu kommen, als Sie mich anriefen und mir mitteilten, es sei dringend,
Lester, alter Knabe«, sagte ich leicht frostig. »Jetzt überzeugen Sie mich
davon, daß ich nicht übergeschnappt bin .«
»Rick, Baby!« Er drehte langsam
den Kopf, und zwar mit äußerster Vorsicht, damit er ihm nicht von den Schultern
fiel. Seine verschleierten Augen unternahmen eine ungeheuerliche Anstrengung,
in meine Richtung zu blicken. »Rick, alter Freund«, sagte er mit verschwommener
Stimme, »ich wußte doch, daß ich mich auf Sie verlassen kann .«
»Wenn Sie den Liebenswürdigen
spielen wollen, alter Freund«, erklärte ich ihm, »kann ich Ihnen nur sagen, daß
Liebe zu dieser nachtschlafenden Zeit bei mir nicht gefragt ist. Ich möchte nur
schlafen. Können Sie mir einen halbwegs einleuchtenden Grund sagen, der dagegen
spricht ?«
Er packte sein Glas mit festem
Griff, hievte sich hoch, bis er saß, und schwang vorsichtig die Füße auf den
Boden.
»Ich habe einen guten Grund .«
»Zum Beispiel ?« erkundigte ich mich.
»Maxine«, sagte er einfach.
»Das ist wirklich die Höhe«,
knurrte ich. »Sie besaufen sich bis zur Rührseligkeit und fangen an, sich an
die Zeiten zu erinnern, in denen Sie mit dem größten Kassenschlager aus der
Branche verheiratet waren. Glauben Sie vielleicht, Sie sind irgendwas
Besonderes, nur weil Sie mit Maxine Barr im Bett gelegen haben? Von dieser
Sorte gibt es...«
»Rick«, sagte er leise, »halten
Sie die Klappe .«
Er ließ sich Zeit, sein Glas
auszutrinken und sich eine Zigarette anzuzünden. Ich hielt den Mund und
wartete, weil ich, ob er nun bis zur Rührseligkeit betrunken war oder nicht,
noch immer eine hohe Meinung von ihm hatte, obwohl sie rapide im Schwinden war.
»Wer ist die schönste Frau auf
der ganzen verdammten Welt, Rick, Baby ?« fragte er
plötzlich.
»Irgendein Frauenzimmer, das
ich noch nicht kennengelernt habe«, antwortete ich mürrisch.
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