Der Krankentröster (German Edition)
Kummer, Stress oder einfach, weil sie gerne – vor allem gerne – ungesunde Sachen essen, zu viel drauf. Bennet, der gerade zwölf Jahre alt geworden ist, hat bestimmt zwanzig Kilo zu viel, und Julia, die vor Kurzem sieben wurde, wiegt nun auch schon 36 Kilo. Also schon ein Gewicht, wo man von Lehrern, Erziehern und Ärzten angesprochen wird. Jetzt hoffe ich, dass uns das PowerKids-Programm weiterhelfen wird. Das mit Stickern, Plakaten, die man ins Zimmer hängt, einer DVD und einer wöchentlichen TV-Sendung motivieren soll. Dazu gibt es nach dem zwölfwöchigen Programm ein Geschenk, das verpackt daliegt und auf dem mit großen Lettern drauf geschrieben steht: Erst nach Beendigung des Programms öffnen.
Nun könnte man denken, wir sind intelligente Menschen und ernähren unsere Kinder auch gesund. Aber ich habe bisher noch keinen kennengelernt, der dem Charme der beiden widerstehen konnte. So wie sie von Essen schwärmen oder ihre Augen leuchten und sie vor Freude im Raum herumhüpfen, wenn ihnen jemand eine Tafel Schokolade überreicht, wurde bisher jeder weich und hatte Spaß daran, sie zu verwöhnen. Sollte man Bennet fragen, wie der Urlaub war, erzählt er nicht, wie schön die Spaziergänge am Meer waren, nein, er erzählt, was es zu essen gab. Mit einem Gedächtnis, das einen staunen lässt, und schwärmt von den Zubereitungen oder den Sinneseindrücken, die die Gerichte bei ihm hinterlassen haben. Auch wenn er bei einem Freund übernachtete, wurde mir danach vorgeschwärmt, wie gut die Mutter kochen könne. Was für leckere Waffeln oder Rührei es zum Frühstück gab und wie selbst die in den Ofen geschobene Fertigpizza gut geschmeckt hat.
Tja, Du merkst, das wird nicht einfach, da Einhalt zu gebieten. Es muss im Kopf klick machen, wie bei Lilith. Aber über deren Willen und Vernunft sind wir alle platt, das schaffe ja selbst ich nicht.
So, und jetzt komme ich wieder zum Thema Stress. Denn natürlich spüre ich, dass die Kinder in Stresssituationen, so wie ich auch, noch mehr essen als sonst. Dazu gehört natürlich der Stress in der Schule, Leistungsdruck und sozialer, wie anerkannt und gemocht werden von Freunden, sowie die Erkrankung der Mutter.
Leicht war es für die Kinder sicherlich nicht, auf ihre Mama ein halbes Jahr zu verzichten und vor allem Angst um sie zu haben. Die sonst aktive Mama daliegen zu sehen, kraftlos, abgemagert, an Bluttransfusionen und Chemos hängend, und das Verbot, die Mutter zu berühren, wegen der Infektionsgefahr.
Und da kann ich nur jedem raten, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In fast jedem Krankenhaus gibt es Psychoonkologen, die auch mit Familientherapeuten zusammen arbeiten. Die Familienrunde mit ihnen, wo ich mit Maske – wegen der Neutropenie – dabeisaß und jeder über seine Sorgen und Ängste sprechen konnte, half uns allen. Und als die Therapeutin Micha fragte: »Und wie tanken Sie auf?«, und Lilith sagte: »Bei Aral!«, lachten alle.
Die Therapeutin betonte, wie wichtig es ist, dass sich keiner schuldig fühlt, und ob sie wüssten, welche Erkrankung ich hätte. Lilith hatte schon viel im Internet recherchiert und konnte es genau beschreiben, während Julia im Kindergarten, wo auch ein Kind an Leukämie erkrankt war, stolz von den Chemozwergen, die gegen die Bösen im Blut kämpfen, erzählte.
Sie gab Lilith den Tipp, sich nicht Informationen aus dem Internet zu holen, da sie oft sehr erschreckend und verängstigend seien, sondern sich die Informationsbroschüren aus dem Krankenhaus mitzunehmen. Meiner Mutter gab ich auch gleich so eine mit, und es half ihr, die Erkrankung nüchterner zu sehen.
Schlimm ist es ja auch, wenn man nach Büchern zum Thema sucht. Da ist ja eine Geschichte dramatischer als die andere. Ungefähr aufgemacht wie eine RTL-Reportage. Die Zuschauer sollen denken, ach Gott, nein, wie furchtbar. Und eigentlich müsste jedem Buch eine Packung Taschentücher beigelegt sein. Und wem hilft es, außer der Taschentücherindustrie? Meiner Familie schon mal nicht.
Als ich die José-Carreras-Gala im Krankenhaus sah, rannen mir dreimal die Tränen über das Gesicht. Sie ließ mich wieder in das Tal gleiten, in dem ich lange nicht mehr war. Und vor allem überkam mich pure Angst. Ständig Berichte über Kinder und Erwachsene, die einen Rückfall erlitten haben. Mütter mit Kindern, die das gleiche Schicksal erlebt haben, und als sie eine Mutter mit drei Kindern, die dasselbe Alter wie meine hatten, zeigten und ihre Tochter
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