Der Krater
dass die Maschine Englisch gar nicht verstehen würde – obwohl sie ziemlich sicher war, dass ein technisch so fortschrittliches Artefakt in der Lage sein müsste, alle mögliche Kommunikation zu belauschen, zu übersetzen und zu interpretieren.
Wie dem auch sei, es war einen Versuch wert – wenn ihr nur einfiele, was sie sagen sollte.
Ihr Vater schob sich den Revolver in den Gürtel. »Folgt mir, bleibt ganz ruhig – und seid nett.«
93
G egen den Sturm vornübergebeugt, stapften sie zum Ende des Piers und die asphaltierte Straße hinauf, die zu dem Gebäudekomplex ganz oben auf der Insel führte. Der Wind heulte, Blitze zuckten vom Himmel, und der Donner vermischte sich mit der tosenden Brandung zu einem ununterbrochenen Getöse.
Als die Straße das Felsplateau erreichte, kam die Bodenstation ganz in Sicht. Sie nahm den höchsten Punkt der Insel ein, eine große, weiße, geodätische Kuppel, die aus einem Komplex trübseliger Betongebäude aufragte, mit Sendemast und vielen Mikrowellenantennen. Die Erdfunkstelle war alles andere als ein Hightech-Wunder, sie strahlte eine gewisse Traurigkeit und Vernachlässigung aus, eine Atmosphäre von Lieblosigkeit und Verlassenheit. Die Kuppel war schmutzig und nass, die Häuser schäbig, die Straße voller Schlaglöcher und Unkraut. Die Gebäude, einst weiß gestrichen, waren so von den Elementen mitgenommen und abgeschliffen, dass teils der pure Beton zum Vorschein kam. In einer großen, an einem Ende offenen Wellblechhütte waren rostige Werkzeuge, Stapel von I-Trägern, Sandhaufen und ergrauendes Bauholz zu sehen. Unterhalb der Bodenstation, in einer geschützten Senke, standen ein paar Häuser und etwas, das wie eine kleine Sporthalle aussah. Die Häuser waren von ein paar hageren, verkrümmten Fichten umgeben – die einzigen Bäume auf der Insel, die wenig Schutz und noch weniger Verschönerung boten. Die übrige Insel war kahl, nur mit Gras, Gestrüpp und Granitbrocken bedeckt, die von Gletschern glattpoliert worden waren.
Die Straße teilte sich, und sie nahmen die linke Abzweigung, die zur Bodenstation führte. Auf einer rostigen Metalltür in einem Betonrahmen stand NGANG – der Rest der Aufschrift war von den Elementen abgeschliffen worden. Über der Tür war ein greller Halogenstrahler angebracht, dessen Licht sich wie ein blasses Leichentuch über die trübselige Insellandschaft breitete. Abbey streckte die Hand aus und drückte die Klinke nieder. Abgeschlossen. Sie drückte auf die Klingel in einem rostigen Klingelschild.
Nichts.
Sie drückte noch einmal fester auf den Knopf, hörte aber von drinnen kein Klingeln und pochte schließlich an die Tür. Statisches Knistern drang aus einem rostigen Gitterchen neben der Tür, und eine blecherne Stimme fragte: »Was ist los, Mike, hast du schon wieder deinen Schlüssel vergessen?«
Abbey sprach in die Anlage: »Hier ist nicht Mike. Wir mussten in Ihrem Hafen notlanden. Wir brauchen Hilfe.«
»Was? Wer ist da?«
» WIR HABEN SCHIFFBRUCH ERLITTEN «, brüllte Jackie überdeutlich in die Sprechanlage.
»Heilige Scheiße.« Sofort ging die Tür auf. Ein halb kahler, ausgezehrter Mann von etwa fünfzig Jahren stand in der Tür. Der traurige Ring aus Haaren um seine Platte herum war zu einem langen, dünnen Pferdeschwanz gebunden. »Du meine Güte! Schiffbrüchige? Kommen Sie rein, kommen Sie rein!«
Sie drängten sich in einen stickigen Anbau, dankbar für die Wärme. Ein alter Röhrenbildschirm stand in der Ecke, auf dem nur weißes Rauschen flimmerte. Auf dem Tisch lagen die Überreste eines nächtlichen Snacks, Schokoriegel-Verpackungen, mehrere Coladosen, ein Kaffeebecher und einige abgegriffene Bücher – Eliots
Das wüste Land
, Kerouacs
Unterwegs
und Joyce’s
Finnegans Wake
.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Stationswächter, der sie anstarrte und beinahe stammelte vor Aufregung. »Ist Ihr Boot gesunken? Setzen Sie sich, setzen Sie sich! Kann ich Ihnen Kaffee anbieten?«
»Jetzt ist ja alles in Ordnung«, sagte ihr Vater und streckte die Hand aus. »Mein Name ist Straw. Unser Boot liegt im Hafen.«
»Kaffee wäre toll«, sagte Jackie laut.
»Ja, klar, kommt sofort.«
Sie setzten sich an den Metalltisch, und der Mann eilte hinüber zu einer Kaffeekanne auf einer Kochplatte. Er schenkte Kaffee ein und brachte die dampfenden Tassen, Sahne und Zucker an den Tisch. Dankbar kippte Abbey Unmengen Sahne und Zucker in ihren Becher, rührte um und trank.
»Was zum Kuckuck haben Sie denn in diesem
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