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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hätte seinen verkappten Wirbelsturm niemals auch nur eine Sekunde lang in fremde Hände gegeben. Der kleine Seemann war der Sohn eines chinesischen Steinsiegelschneiders, dessen ganze Sippe Anfang des Jahrhunderts nach Japan ausgewandert war. Auch die Hälfte seiner vierköpfigen Besatzung hatte chinesische Wurzeln.
    Ohei Ozaki war ein alter Dickkopf. Er hatte darauf bestanden, David und Rebekka persönlich den geheimsten Schlupfwinkel Toyamas zu zeigen. Angeblich sei es selbst mit einer genauen Ortsbeschreibung so gut wie unmöglich, das Anwesen zu finden. Die letzte Nacht hatte die Reisegesellschaft bei Verwandten der Ozakis in den Bergen nahe bei Kochi verbracht. David hielt es für zu gefährlich, in Iyo-Saijo zu bleiben, weil er damit rechnete, dass der Kopf des Schwarzen Drachens seinen Plan erahnen und seinem geliebten Koch ein Schwert in den Leib stoßen lassen könnte.
    Beim gemeinsamen Abendessen war man sich näher gekommen und inzwischen behandelte Ohei das »langnasige« Ehepaar aus Europa wie seine besten Freunde – mit der ihm eigenen ruppigen Art von Herzlichkeit, versteht sich. Aus den anfänglichen Zweifeln des Alten war unterdessen ein glühender Eifer gegen Toyama und für den Tenno geworden.
    Die seinem Sinneswandel zugrunde liegende Logik war typisch japanisch: Toyama hatte sich immer als großer Patriot ausgegeben, aber er war in Wahrheit ein hintertriebener Ränkeschmied, der durch seine Intrigen den göttlichen Kaiser besudele. Weil er, Ohei, ihn, Toyama, in all den Jahren durch seine Kochkunst auch noch bei Kräften gehalten habe, trage er eine nicht unwesentliche Mitschuld an diesem Hochverrat. Einige Minuten lang mussten seine Anverwandten und die Gäste ernsthaft um den Alten bangen, weil er sich auf die Suche nach einem Schwert machen wollte, um sich schnellstmöglich in selbiges zu stürzen. David gelang es schließlich, Ohei zu beruhigen. Wodurch könne er sein giri besser wiederherstellen als durch die Entlarvung des Verräters, hatte er gefragt.
    Damit war die Zusammensetzung der Reisegesellschaft endgültig besiegelt gewesen.
    Später am Abend – der Greis stand inzwischen unter dem Einfluss einer nicht näher bestimmbaren Menge von Sake – begann Ohei eine phantastische Geschichte zu erzählen. Und zwar, so behauptete er, gebe es, versteckt in einer fast unzugänglichen Schlucht südlich von Toba, einen Felsenpalast. Ja, das sei wohl der passende Begriff, bekräftigte er zufrieden. Nach einigen, nicht immer ganz klaren Schilderungen wussten David und Rebekka wenigstens ungefähr, wohin sie ihre Reise führen würde.
    Toba befand sich auf Honshu, der größten der japanischen Hauptinseln. Die Stadt am Irako-Kanal lag ziemlich genau auf halber Strecke zwischen Kochi – dem Heimathafen der Taifun – und Tokyo. Neben der Perlenzucht war Toba über seine Grenzen hinaus auch wegen Myoto-iwa, den »Vermählten Felsen«, bekannt. Die beiden küstennahen Klippen symbolisierten das Götterpaar Izanagi und Izanami und ihr heiliges »Band der Ehe« – ein dickes, aus Reisstroh geflochtenes Tau – wurde jedes Jahr in einer feierlichen Zeremonie erneuert. Südlich der Hafenstadt erstreckte sich eine unübersichtliche Küstenlinie aus zahllosen kleinen Buchten und vorgelagerten Inseln. Das Hinterland war von subtropischen Wäldern überwuchert. Toyama hätte sich kaum eine bessere Gegend für sein Versteck aussuchen können.
    Als die Taifun sich bis auf wenige Seemeilen ihrem Ziel genähert hatte, schaltete Wang die Motoren aus und überließ das Boot dem Wind. Sein Kutter verfügte über einen Groß- und einen Besanmast, war also auch ohne den Dieselmotor noch manövrierfähig. Bald breitete sich an Bord eine bedrückte Stimmung aus. David hatte, nachdem sie erst auf See waren, Kapitän Wang informiert, welch gefährliche Mission ihn in diese Gewässer führe. Es gelte den Chef eines Geheimbundes zur Strecke zu bringen, der seit der Meiji-Zeit gegen die Krone intrigiere. Seine Offenheit trug einmal mehr willkommene Früchte: Wang und seine Mannschaft erklärten sich spontan bereit unter Beisteuerung eines zusätzlichen Obolus den Kampf gegen den Erzschurken aufzunehmen.
    »Noch zwei Buchten«, erklärte Ozaki, als sie eine kleine Landspitze umrundeten. »Es gibt nur einen einzigen Zugang zu Toyamas Felsenpalast: vom Meer aus.«
    Wie David inzwischen wusste, befand sich Toyamas Schlupfwinkel in einer schmalen Bucht, deren steil abfallende Klippen jeden Zugang vom Hinterland her

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