Die Gewürzhändlerin
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Prolog
Konstantinopel, Frühjahr, Anno Domini 1199
W ehmütig, doch zugleich auch mit Vorfreude im Herzen blickte Matthäus Ibn Maternus Ibn Radulf auf die Mauern und Türme der Metropole zurück. Die Sonne brannte heiß und unbarmherzig auf die Reisewagen hinab, deren Nachhut er zusammen mit zweien seiner Knechte bildete. Der Sommer war noch fern, dennoch glühte die Erde bereits in der ersten Trockenperiode dieses Jahres. Matthäus hatte sein Reittier gezügelt und sich einen letzten Blick auf Konstantinopel erlaubt, jene Stadt, die seinem Vater und zuvor schon seinem Großvater zu Reichtum verholfen hatte. Die Zeiten für Kaufleute waren gut, insbesondere nachdem König Amalrich II . von Jerusalem im vergangenen Jahr einen Waffenstillstand mit den Muslimen hatte aushandeln können. Der Fernhandel mit Italien, dem Frankenreich und sogar den Ländern noch weiter nördlich wuchs und gedieh.
Dies war einer der Gründe, weshalb Matthäus sich auf den Weg dorthin begeben hatte. Sein Ziel war das Heilige Römische Reich – vor allem die großen Handelsstädte am Rhein, von denen sein Großvater ihm so viel erzählt hatte, als Matthäus noch ein Junge gewesen war. Seit jener Zeit trug er dieses Fernweh in seinem Herzen, den Wunsch, die Orte zu sehen, die mit den Wurzeln seiner Familie eng verknüpft waren. Sein Großvater Radulf war als Kreuzritter im Zweiten Kreuzzug unter König Konrad III . nach Jerusalem gezogen und nach der Niederlage des Kreuzfahrerheeres dort geblieben. Er hatte Maria geheiratet, die Tochter eines angesehenen christlichen Handelsherrn aus der Grafschaft Edessa, und nach dem Tod des Schwiegervaters dessen gutgehendes Handelskontor zu einem der bedeutendsten Fernhandelsgeschäfte ausgebaut. Er selbst, später sein Sohn und auch Matthäus waren regelmäßig zwischen Edessa und Konstantinopel hin- und hergereist, hatten Karawanen mit Gewürzen und anderen Handelswaren auf den Weg zu ihren fernen Bestimmungsorten gebracht.
Matthäus hatte nun beschlossen, sein Geschäft an eine dieser fernen Stätten am Rhein zu verlegen, nicht zuletzt weil er seinem Großvater einst versprochen hatte, eines Tages in jene Heimat, das Heilige Römische Reich, zurückzukehren: Er wolle die grünen Wiesen und Hänge, die von Wild bevölkerten Wälder, die vielen im Sonnenlicht glitzernden Bäche und Flüsse sehen – und die kühle, klare Luft nach einem ergiebigen Regenguss selbst einatmen und auf der Haut spüren.
Radulf hatte gelacht und ihm für dieses Vorhaben Glück gewünscht; vermutlich hatte er den Flausen seines Enkels nicht allzu viel Beachtung geschenkt. Dennoch hatte er ihm einige Jahre später, kurz vor seinem Tod, ein Geschenk gemacht und ihn gebeten, er möge es mit sich nehmen, wenn er tatsächlich das Land am Rhein aufsuchen würde.
Matthäus zog die mit roten und blauen Edelsteinen besetzte Kette unter seinem Hemd hervor, betrachtete sie sinnend und schloss die rechte Hand fest darum. Lag es an seiner eigenen Körperwärme, dass die Kette sich so seltsam lebendig anfühlte? Fast hatte er den Eindruck, ein sanftes Prickeln oder Pulsieren zu spüren.
Eine Reliquie sei dies, hatte der Großvater ihm erklärt, einer von drei Teilen einer Reliquie, die er während des Kreuzzuges mit zwei seiner besten Freunde geteilt hatte.
«Niemals», hatte er gesagt, «darfst du diese Kette verkaufen. Behalte sie in Ehren, sie ist das Unterpfand unseres Glücks und Erfolgs. Solltest du dereinst einem der Nachfahren jener beiden Männer begegnen, so erinnere dich an die alte Freundschaft unserer Familien und an das Gelöbnis, welches wir einander damals gaben, niemals Krieg oder Händel gegeneinander zu führen, sondern einander beizustehen.»
Matthäus hatte versprochen, dieses Erbe zu hüten und an seine Kinder weiterzugeben. Gleichwohl bezweifelte er, dass er jemals einem Nachkommen jener Freunde seines Großvaters begegnen würde. Gewiss, er würde sich nach den Grafen von Wied erkundigen und möglicherweise sogar jemanden finden, der den Bauern Jost Bongert gekannt hatte, der einst für seinen Herrn dem Aufruf zum Kreuzzug gefolgt war. Doch niemand konnte wissen, ob es überhaupt noch Nachfahren jener beiden Familien gab.
Das Wichtigste war zunächst, die weite, anstrengende Reise zu bewältigen und sich nach einem Ort umzusehen, der sich sowohl zum Leben als auch für sein Geschäft eignete. Fernhandel betrieb man am besten direkt von einer der Städte am Rhein aus. Köln vielleicht,
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