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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Gemeinde.
    »Wenn uns Gott mit seinem Fluch bestraft, wenn er das Fieber über diese Stadt ausgießt wie einst Feuer und Schwefel über Sodom und Gomorra, dann wird er dafür auch einen Grund haben. Hütet…« Pater Garrick stockte. Er schien kaum noch seinen Kopf gerade halten zu können. Sein Oberkörper war weit vorgebeugt. Der Atem rasselte. Auf dem Gesicht des hageren Mannes vereinten sich tausende feiner Schweißtröpfchen zu einer glänzenden Maske. Einige Zuhörer waren erschrocken von ihren Plätzen hochgefahren. Aber der zähe Geistliche wollte noch nicht aufgeben.
    »Hütet… euch vor dem, der böse ist. Die Schrift sagt: ›Unterwerft euch Gott; doch widersteht dem Teufel, und er wird von euch fliehen.‹ Wie… wie könnten wir da jenen dienen, die selbst Knechte des Prinzen dieser Welt sind? Wieder sagt die Schrift: ›Fliehet…!‹«
    Pater Garrick bäumte sich unvermittelt auf, als hätte ihn ein unsichtbarer Dolch von hinten getroffen. Dabei verlor er das Gleichgewicht, stürzte rückwärts die Stiege hinunter und blieb mit grässlich verkrümmtem Rücken auf dem steinernen Kirchenboden liegen. Im gleichen Moment flog das Portal auf und ein Schwall hellen Sonnenlichts ergoss sich in das Mittelschiff. Wer wie Jeff nahe am Gang saß, konnte auf dem Fußboden einen grotesk in die Länge gezogenen Schatten sehen, der einem Mann zu gehören schien. Doch als sich zahllose Gläubige umdrehten, sahen sie nur ein leeres Tor.
    Von des Paters letztem Ausruf bis zu dem allgemeinen Wenden der Köpfe waren nur wenige Augenblicke vergangen. Dennoch hatte diese Zeit vollauf genügt, um die andächtige Stille in das reinste Tohuwabohu zu verwandeln. Der Pater lag am Boden, als hätte er einen unsichtbaren Strick um den Hals, dessen anderes Ende seine Fußgelenke fest hielt und dadurch seinen Kopf auf abnorme Weise zurückzog. Vier oder fünf Helfer knieten schon bei ihm. Mit jeder Sekunde gesellten sich weitere hinzu.
    Andere rannten in Panik dem Ausgang entgegen. Die weitaus größte Zahl formierte sich jedoch zu tuschelnden Grüppchen, kleinen Festungen aus menschlichen Leibern, von denen aus der Fortgang des schrecklichen Geschehens im Schutze Gleichgesinnter verfolgt werden konnte.
    Jeff für seinen Teil war wie betäubt. Ungläubig starrte er in die Richtung der größten »Menschenburg«, unter der sich Pater Garricks hingestreckter Leib befand. Am Rande des Gedränges bemerkte er einen geschniegelten jungen Mann, der sich zu einem der Spähtrupps im Kirchenschiff umwandte und traurig den Kopf schüttelte – eine stille Geste in der aufgewühlten See aus Jammern und Klagen, zum Himmel gerichteten Hilferufen und Unheil abwehrenden Sprüchen. Jeff verstand diese lautlose Botschaft sehr gut: Pater Garrick lebte nicht mehr. Was für eine Ironie des Schicksals! Ausgerechnet ihn, den wortgewaltigen Herold gottgesandter Heimsuchungen, hatte es nun selbst getroffen. War das ein himmlisches Versehen? Was nur hatte ihn so unerwartet dahingerafft? Oder sollte Jeff sich besser fragen, wer hatte es getan?

 
    Das Haus im Wald
     
     
     
    Jeff verabscheute Tage wie diesen. Seine Gefühle spielten verrückt. Er war hin- und hergerissen. Am Morgen hatte ihm George den Laufpass gegeben, wenig später war dieser dunkle Bote mit seinem Füllhorn voller Geld erschienen. Und nun das!
    Fliehet! Pater Garricks letzte Worte hallten noch immer wie eine Unheil verkündende Warnung durch Jeffs Geist, während er mit weit ausholenden Schritten das Ende der Kolonnade passierte. Für gewöhnlich traf man hier auf eine Vielzahl von Menschen, die von dem Wasser der eisenhaltigen Quelle tranken, der Tunbridge Wells Namen und Ansehen verdankte. Jetzt jedoch war weit und breit niemand zu sehen. Die Nachricht von Pater Garricks plötzlichem Dahinscheiden konnte sich doch unmöglich so schnell verbreitet haben.
    Fliehet! Warum hatte der Geistliche nicht gesagt, wohin? Und vor allem vor wem? Wohl die Mehrzahl der Gemeinde hatte Pater Garricks letzte Worte auf Lord Belial bezogen. The Weald House war nicht gerade als Hort frommer Gebete bekannt. Aber es gab, allem Gemunkel zum Trotz, auch keine Beweise für das Gegenteil. Den Gerüchten um das einsame Anwesen im Wald nachzugehen, glich dem sprichwörtlichen Haschen nach Wind. Offenbar hatte niemand diesen geheimnisvollen Lord bisher wirklich gesehen.
    Der schnelle Marsch – oder war es eher eine überstürzte Flucht? – hatte für Jeff auch etwas Gutes: Seine Gedanken beruhigten sich

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