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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verlangte: Sie zauderten.
    David hätte sie am liebsten mit den Köpfen gegen die Wand gestoßen. »Jetzt reicht es«, knurrte er. »Bitte begleiten Sie mich zum Tenno.«
    Togo und Suzuki zögerten.
    »Oder soll ich Hirohito bitten, dass er Sie einbestellt?«
    Außen- und Premierminister setzten sich in Bewegung.
    Als Hirohito von der Hinhaltetaktik des Kriegsrates hörte, wurde er so wütend, wie David ihn noch nie erlebt hatte.
    »Ich werde persönlich an der Sitzung teilnehmen«, sagte er entschlossen.
    Außen- und Premierminister sahen sich erschrocken an. War das im Protokoll denn überhaupt vorgesehen?
    Zehn Minuten nach Mitternacht begann eine neue Krisensitzung. Diesmal unter den Augen des Tennos. Weil dieser seit dem Atombombenabwurf wie ein Maulwurf unter der Erde lebte, mussten sich die Minister und Generalstabschefs in den schwülen, engen Konferenzraum zwängen. David nahm an der Schmalseite des langen Besprechungstisches Platz. Am anderen Ende stand Hirohitos Thron.
    Als der Kaiser den Raum betrat, erhoben sich alle Anwesenden. Kriegsratsmitglieder und Politiker blieben mit vor Ehrfurcht gesenktem Kopf erstarrt stehen und wagten sich erst wieder zu rühren, als der Tenno das Zeichen zum Platznehmen gab. Doch auch diese Sitzung sollte sich nicht von den vorangegangenen unterscheiden. Man diskutierte, schleuderte Friedensbekundungen und neue Kriegspläne kreuz und quer über den Tisch. Umezu, der Generalstabschef der Armee, empfahl eine letzte Schlacht und Toyoda, sein Kollege von der Flotte, sprang ihm bei. Man glaubte wohl selbst nicht mehr an einen alles entscheidenden Sieg, aber allein der Gedanke an eine Niederlage erschien den Militärs offenbar unannehmbar.
    Außenminister Togo beharrte auf seinem Standpunkt. Nur die sofortige Kapitulation könne Nippon retten. Böse Blicke wurden aus schwitzenden Gesichtern auf ihn abgeschossen. Das Kondenswasser perlte sogar von der Holztäfelung der dicken Bunkermauern. »Defätist!«, zischten die weisen Staatsmänner zu beiden Seiten des Tisches.
    Inzwischen war es zwei Uhr morgens geworden. Premierminister Suzuki meldete sich mit einem vermeintlich spontanen Vorschlag zu Wort. David hatte die Entwicklung der Sitzung vorausgesehen und die allerletzte Möglichkeit gefordert, etwas Ungeheuerliches.
    »Meine Herren«, sagte Suzuki, »wir haben jetzt stundenlang diskutiert, ohne zu einem Entschluss zu kommen, und noch immer ist keine Einigung in Sicht. Wie Sie alle wissen, dürfen wir in diesen entscheidenden Augenblicken keine Minute verschwenden.« Er hielt kurz inne und ließ den Blick über die Runde der Versammelten wandern. »Deshalb«, fuhr er fort, »schlage ich vor, den kaiserlichen Rat zu erbitten und ihn als Beschluss dieser Konferenz zu werten.«
    Betroffenes Schweigen. Den kaiserlichen Rat! Wann je hatte man ihn eingeholt? Der Tenno war doch ein göttliches Wesen. Es gehörte sich einfach nicht, dass Götter ihre Meinung äußerten und sich damit in die Geschicke der Menschen einmischten. Jedenfalls nicht in Japan und nicht für die Sprösslinge Amaterasus, ganz gewiss nicht für Hirohito. Aber er tat es trotzdem. Das erste und vielleicht das letzte Mal in seinem Leben.
    Der Tenno erhob sich. Er schwitzte wie alle anderen. David fiel auf, wie nervös sein Freund war. Sei stark, Hito- kun! Dieses eine Mal. Zieh die Sache durch wie besprochen. Die Notizen in den Händen des Kaisers zitterten. Vermutlich konnte er sie nicht einmal richtig lesen, weil die feuchten Finger die Schrift verwischt hatten und die Brille beschlagen war. Seine ersten Worte kamen angestrengt und abgehackt heraus. David blickte ermutigend zu ihm hinüber und allmählich wurde Hirohito ruhiger.
    »Ich habe lange über die innere und äußere Lage nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen, dass eine Fortsetzung des Krieges nichts anderes bedeuten würde, als dass die Nation vernichtet und in aller Welt noch mehr Gräuel verübt und noch mehr Blut fließen würde. Ich können es nicht ertragen, mein unschuldiges Volk länger leiden zu sehen! Nur durch die Beendigung des Krieges können der Weltfriede wiederhergestellt und die Nation von der Verzweiflung befreit werden, die auf ihr lastet.«
    Im Weiteren zerpflückte der Kaiser die Verteidigungsüberlegungen seiner Militärs. Er machte auf die »verhängnisvollen Diskrepanzen zwischen unseren Plänen und unseren Leistungen« aufmerksam. Er wusste so gut wie alle anderen im Raum, dass es nicht einmal konkrete, umsetzbare Pläne

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