Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
sich als Hydrologe aus, wirke aber wie jemand, der bereits wichtigere Positionen bekleidet habe. Der deutsche Auswanderer hieß Ricardo Klement.
David war Papen einige Male begegnet. Der ehemalige Reichskanzler trat mehr als nur korrekt auf, wirkte eher schon militärisch steif. Aber genügte diese Übereinstimmung, um dem Hinweis nachzugehen? Drill und Disziplin war den Nazis ein Muss. David entschied sich dennoch für eine gründliche Untersuchung. Er wollte sich später nicht den Vorwurf machen, einen entscheidenden Hinweis übergangen zu haben.
Im Sommer 1955 bestieg er einmal mehr eine Maschine der Aerolineas Argentinas und flog elfhundert Kilometer nach Nordwesten. Sein Ziel war die Provinz Tucuman. Im Staatsauftrag erstellte CAPRI dort vor Ort eine Studie über den Bau von Stauseen und Wasserkraftwerken. Eine anspruchsvolle Aufgabe für einen Hydrologen wie Klement. Die technische Außenstelle CAPRIs befand sich im Dorf El Cadillal, gut dreißig Kilometer von der Provinzhauptstadt Tucuman entfernt.
Alle »Capriolen«, wie David die Mitarbeiter des Fuldner-Unternehmens insgeheim nannte, waren im Dorf über eine einheitliche Adresse zu erreichen: Casilla de Correo 1 7, nicht mehr als ein Postfach. Wegen der zunehmenden Geldknappheit der Regierung unterhielten die Capriolen nur noch einen Notposten in El Cadillal, was Davids Gelassenheit auf eine harte Probe stellte. Niemand hatte ihm in Buenos Aires davon erzählt. Ricardo Klement arbeitete schon seit zwei Jahren nicht mehr hier. Die Suche nach ihm erschien aussichtslos. Aber dann fand David doch noch einen gesprächigen CAPRI-Mitarbeiter.
»Ja, ich erinnere mich an Klement, ein sehr gründlicher, ja, geradezu penibler Mann.«
Davids Puls beschleunigte sich. »Können Sie ihn beschreiben?«
»Nein.«
»Was? Wieso denn nicht?«
»Ich habe ihn nie gesehen.«
»Aber Sie sagten doch eben… «
»Dass ich mich erinnere«, fiel der grobschlächtige Deutsche dem Weg-Reporter ins Wort. »Das stimmt auch. Allerdings kenne ich Klement nur aus den Erzählungen der Kollegen. Seine Genauigkeit war sprichwörtlich. Bis heute weiß jeder, was gemeint ist, wenn der Chef sagt: ›Das muss aber klementieren!‹«
»Haben Sie eine Ahnung, was Klement vor der Kapitulation gemacht hat?«
»Darüber soll er nie geredet haben.«
»Schade.«
»Watson dafür umso mehr.«
»Wer?«
»Klements Sohn, muss beim Wegzug der Familie so zwölf, dreizehn gewesen sein. Eigentlich heißt er Horst Adolf.«
Papen soll einen dreizehnjährigen Sohn haben? David zwei felte immer mehr am Sinn dieser Reise. »Was hat denn dieser Watson so über seinen alten Herrn ausgeplaudert?«
»Genau genommen war Klement sein Stiefvater.«
David hörte wieder genauer hin. »Und?«
»Soweit ich weiß, hat der Bengel ziemlich angegeben. Sein richtiger Vater sei im Krieg gefallen. Als die Familie noch in Deutschland war, soll sie in Saus und Braus gelebt haben: schöne Villa mit großem Garten, mehrere Autos, eben alles, was man sich wünschen kann. Die Soldaten hätten großen Respekt vor seinem Vater gehabt.«
Im Krieg gefallen? David erinnerte sich an etwas, das Simon Wiesenthal einmal zu ihm gesagt hatte: Tote würden aus den Registern gestrichen und niemand kümmere sich mehr um sie. »Haben Sie eine Ahnung, wo sich Klement und seine Familie jetzt aufhalten?«
»Ein Freund hat mir erzählt, er habe ihn mal in Buenos Aires getroffen. Hat da anscheinend eine Wäscherei aufgemacht.«
David nickte und bedankte sich. »Ach, noch was. Sie wissen nicht zufällig, wie der richtige Vater von Horst Adolf hieß?«
»Von Watson, meinen Sie?« Der Deutsche schüttelte sein kantiges Haupt. »Nee.«
»Schade. Na, dann noch mal vielen Dank.« David streckte dem Mann die Rechte entgegen.
»Warten Sie«, sagte der und zerquetschte fast die Hand seines Besuchers. »Klements Frau trägt einen Doppelnamen.«
»Was ist daran ungewöhnlich? In Argentinien behalten doch alle Ehefrauen ihren Mädchennamen bei und hängen den des Mannes nur an.«
»Wohl richtig, Herr Vauser, aber bei Klements Frau war das anders. Wahrscheinlich haben die beiden in wilder Ehe gelebt, was in diesem gottverlassenen Kaff nicht gerade alltäglich ist. Ich glaube, sonst hätte ich Veronicas Namen längst vergessen. Ja, so hieß sie: Veronica Catarina Liebl de Eichmann.«
Gleich nach seiner Rückkehr schickte David einen Brief an Wiesenthal. Der österreichische Nazijäger würde jubilieren. Endlich gab es eine heiße Spur zu
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