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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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irgendetwas von Wert mitgeteilt? Die geplante Unterhaltung beim Abendessen war ja leider ausgefallen. David hatte also auch nicht seine Gabe ausspielen können. Während der beschwerlichen Flucht aus Guatemala waren ihm vor allem diese Fehlschläge seines Dschungeleinsatzes bewusst geworden. Natürlich besaß er nun einen Siegelring mehr und Belial einen Logenbruder weniger. Das allein durfte er sich schon als Erfolg anrechnen. Aber sonst?
    Da war diese Äußerung. Auf Davids nebulöse Andeutungen über Belials Besorgnis »diesen Teil der Welt« betreffend hatte Barrios der Ältere aufbrausend gesagt: »Anstatt unsere Kräfte sinnvoll aufzuteilen, werden sie hier auch noch konzentriert.« Und war in Davids Falle getappt! Der hatte nämlich ganz bewusst offen gelassen, welcher oder welche Kontinente gemeint waren. Wenn Barrios also das Wort »hier« benutzte, dann musste aus seiner Warte Amerika gemeint sein, vermutlich sogar Lateinamerika. Indem er darüber hinaus von einer Konzentration der Kräfte sprach, bestätigte er das Anwachsen der Belial-Gemeinde in dieser Region. David konnte eins und eins und eins zusammenzählen: Justo Rufino Barrios und Lucius Kelippoth und Franz von Papen. Drei Logenbrüder. Letzterer musste die von Barrios so verachtete Verstärkung gewesen sein.
    Logischerweise setzte David seine Spurensuche im Süden fort. Anstatt zu Ruben nach New York City zurückzukehren, flog er wieder nach Buenos Aires und landete dort am Montag, dem 28. Juni 1954. In der Zwischenzeit war in Guatemala genau das geschehen, was der Wirt in El Encanto sogar mit seinem einen Auge hatte voraussehen können: Der demokratische Reformpräsident Jacobo Guzman war von einer Militärjunta zum Rücktritt gezwungen worden. Nach alter guatemaltekischer Sitte regierte jetzt also wieder ein Caudillo, ein Diktator. Die von Guzman schwer geschröpfte United Fruit Company rieb sich die Hände und mit ihr etliche andere US-Amerikaner. Endlich hatte man es diesen Kommunisten einmal gezeigt. Wen kümmerte es da schon, dass Präsident Guzman eigentlich gar kein Kommunist war?
    Der Weg hatte die sechswöchige Abwesenheit seines Volontärs, ohne Schaden zu nehmen, überstanden. Zwar veranstaltete der Chefredakteur ein kleines Donnerwetter, war aber sofort bereit das Feuilleton seines Blattes wieder in die Hände des kulturbeflissenen Friedrich Vauser zu legen. Derselbe, uns besser als David Camden bekannt, lächelte dankbar und stöhnte innerlich.
    In den nächsten Wochen und Monaten vollführte er einen Drahtseilakt nach dem anderen. Als notorischer Lügner hätte es ihm keinerlei Schwierigkeiten bereitet, ganz auf der braunen Linie des Wegs zu schreiben. Aber David war weder Nazi noch Schwindler. Um der Gewissensnot zu entkommen, verfasste er seine Texte schließlich in vollendeter Doppelbödigkeit. Wenn also, nur um ein Beispiel zu nennen, eine Theateraufführung ihm besonders stümperhaft und ausgesprochen rechtsnationalistisch vorkam, dann las sich seine Kritik in etwa so:
     
    … Das Stück, die Inszenierung und die Akteure haben in jeder Hinsicht überrascht. Manche Besucher der Premiere erwarteten bestenfalls Kleinstadtniveau. Wie sehr sie sich doch irrten! Es muss zu den größten Prüfungen eines Regisseurs zählen, den heldenhaften Mut und Nationalstolz des deutschen Volkes in glaubhafte Bilder umzusetzen. Edelfried Siminowski hat sich von der Herausforderung nicht schrecken lassen. Ihm verdankt die Bühnenkunst einen neuen Superlativ. Mit den 150 Besuchern verließ auch ein sehr nachdenklicher Rezensent das Theater…
     
    Schon um des Prinzips willen hatte der Chefredakteur immer etwas an Davids Kulturbeiträgen auszusetzen. Entweder waren sie ihm »zu intellektuell« oder er beharrte: »Sie müssen die Fackel des Führers noch höher halten.« Verzichten wollte er auf seinen gebildeten Schreiberling dennoch nicht. Das kam dem Undercoveragenten sehr entgegen. David verfiel in seinen Artikeln mehr und mehr auf einen polemischen Ton. Seine Kommentare verfasste er bald nur noch als Glossen. Der bissige Spott galt dem braunen Gedankengut, aber niemand schien es zu merken. Wer den Weg kaufte, wollte sein Deutschtum pflegen und im Feuilleton nicht zwischen den Zeilen lesen.
    Willem Sassen – der Protagonist des Dürerkreises – schien sich über die Rückkehr des Kollegen ehrlich zu freuen. In der Redaktion kam er immer wieder an dessen Arbeitsplatz, um ihm extrem wichtige und, wie David fand, ausgesprochen langweilige

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