Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
mit Waffengewalt die freie Kanaldurchfahrt zu erzwingen. Nasser ließ sich nicht lumpen und versenkte vierzig Schiffe in der Wasserstraße, was manche als Trotzreaktion deuteten, konnte doch nun niemand mehr den Suezkanal passieren. Als das Jahr sich dem Ende näherte, zogen sich Israelis, Franzosen und Briten auf vehementen Druck der Amerikaner wieder zurück. Der Weg lag voll auf Gamal Abd el-Nassers Linie und feierte diesen Ausgang des Konflikts als beispiellosen Sieg über die »Judenbrut und ihre anglofranzösischen Verbündeten«. Als der Wasserweg im März 1957 mit UN-Hilfe wieder schiffbar gemacht wurde, titelte das Blatt: »Die Zeche zahlt immer der Verlierer«.
Weil David sich des Gefühls nicht erwehren konnte, auf der Stelle zu treten, beschloss er Ende August 1958, seinem Redaktionskollegen Sassen härter zuzusetzen. Willem, wie er ihn inzwischen nannte, wusste mehr, als er zugab, das spürte David. Außerdem steckte der Lebemann in finanziellen Schwierigkeiten, was ihn gegenüber gewissen Angeboten vielleicht empfänglicher machte.
»Es geht nicht darum, einen alten Kameraden zu verraten«, sagte David, als er Willem weich gekocht zu haben glaubte. Sie saßen wieder einmal in dem zentral gelegenen ABC-Café, das der Laienschauspieler besonders gerne aufsuchte. »Aber Monster wie Eichmann und Mengele haben die Fahne der SS beschmutzt. Und Papen hat den Führer in Marburg öffentlich verunglimpft. Solche Elemente muss man zur Strecke bringen.«
»Du hast ja Recht«, wand sich Willem. »Meinst du, ich habe vor sechs Jahren gewusst, was dieser Eichmann alles auf dem Kerbholz hat?«
»Wieso ausgerechnet vor sechs Jahren?«
»Ich habe die beiden zusammengebracht, hier in diesem Café. Irgendwie verlief die Begegnung aber eher unglücklich. Mengele ist Arzt, ein Intellektueller. Er hat in der Stadt eine Praxis. Eichmann dagegen trat wie ein kleiner Beamter auf, irgendwie spießig. Die beiden passten nicht zueinander.«
David verschluckte sich an seinem Mokka. Was er da hörte, war mehr, als er in den letzten vier Jahren erfahren hatte. Er würde sofort Telegramme an Bauer und Wiesenthal schicken. Nachdem er die braune Brühe doch hinunterbekommen hatte, fragte er: »Was ist mit Papen?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Bist du ihm auch begegnet?«
Willem winkte ab. »Lass mich mit diesem Stümper in Ruhe. Du hast schon Recht: Er ist ein bigotter Wadenbeißer.«
»Du weißt also nicht, wo er untergeschlüpft ist?«
»Keine Ahnung. Ich habe da allerdings von so einer Ratte in Coronel Suarez gehört, Halbjude, soviel ich weiß. Der hat letztens versucht einen von uns zu verpfeifen. Bin der Sache nicht weiter nachgegangen – mit einer Judensau will ich nichts zu tun haben.«
David unterdrückte einen Schauder. »Sagtest du nicht eben, er sei eine Ratte?«
»Was sollen diese Spitzfindigkeiten, Friedrich? Wenn du willst, kannst du dich ja an ihm schmutzig machen. Ich habe seine Adresse noch im Büro. Morgen früh bekommst du sie.«
»Ich denke, für die gute Sache kann ich es wagen.«
»Von mir aus. Solange du mich nicht anschwindelst und diese Informationen wirklich ›zu unser aller Nutzen‹ verwendest. So hast du dich doch ausgedrückt?«
»Natürlich, Willem. Ich habe die Wahrheit gesagt und nichts als die Wahrheit…«
»Lass gut sein. Ich brauche keine Schwüre, sondern Kohle. Du könntest jetzt eigentlich die Scheine rausrücken, die du mir versprochen hast.«
Die Bahnfahrt nach Coronel Suarez dauerte mehr als vier Stunden. Lothar Hermann hatte früher in Olivos gewohnt, einem Stadtteil von Buenos Aires, aber dem Rentner war der Trubel in der Fünfmillionenmetropole zu viel geworden.
Als David in dem kleinen Mietshaus den Klingelknopf neben dem Namen »Hermann« drückte, öffnete ihm kein Mann, wie erwartet, sondern eine brünette junge Frau in einem geblümten Kleid. Sie hatte langes Haar, war schlank, nicht gerade bildschön, aber hübsch.
»Guten Tag, mein Name ist Veit Gladius«, stellte sich David vor. »Ich komme als Emissär von Fritz Bauer, dem hessischen Generalstaatsanwalt.« Das war keineswegs gelogen, denn Fritz war mittlerweile wirklich von Braunschweig nach Frankfurt gewechselt, seinem Jagdinstinkt in Bezug auf Naziverbrecher hatte das keinen Abbruch getan.
»Haben Sie einen Termin mit meinem Vater vereinbart?«
»Nun, ehrlich gesagt, hoffe ich, den erst zu bekommen. Wenn möglich, jetzt gleich. Es geht um einen Kriegsverbrecher, der den Juden viel Leid zugefügt
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