Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
hat. Ich…«
»Ach, von Eichmann reden Sie«, unterbrach die Brünette den Besucher und fügte mit einem koketten Lächeln hinzu: »Dann kommen Sie mal rein in die gute Stube. Mein Vater wird sich freuen.«
David wäre am liebsten umgedreht und hätte den nächsten Zug in die Hauptstadt genommen. Eichmann, immer nur Eichmann! Schon wieder war er, ohne es zu wollen, auf die Spur dieses schrecklichen Menschen geraten. Warum suchte ihn alle Welt eigentlich noch? Man musste doch in Argentinien nur an eine x-beliebige Haustür klopfen und nach dem Mann fragen. Diesem kurzen inneren Aufruhr folgte die Einsicht, dass er vielleicht mit einer netten Plauderei bei Kaffee und Gebäck die nötigen Informationen sammeln konnte, um die Menschheit von einem Monster zu befreien. Er lächelte und trat in die Wohnung.
Die Hermanns waren einfache Leute. Sie freuten sich über den Besuch eines Menschen, der ihre Ängste und Nöte kannte und Mitgefühl zeigte. Man setzte den Gast auf das mit Spitzendeckchen verzierte Besuchersofa und bot ihm eine Erfrischung an. David nahm dankend an und erzählte alsbald von Rebekkas Schicksal. Auch Lothar Hermanns Eltern waren von den Nazis ermordet worden. Durch die Trauer um die verlorenen Angehörigen kam man sich schnell näher.
Die junge Frau mit dem koketten Lächeln hieß übrigens Sylvia. Sie war Lothar Hermanns Tochter und die eigentliche Informantin, denn das Familienoberhaupt war blind, dafür aber mehr als gesprächig. David musste nur wenige Fragen stellen, um die ganze Geschichte zu erfahren.
Anfang der fünfziger Jahre habe man in Olivos gewohnt, eröffnete Lothar Herrmann. Er sprach zunächst in ruhigem Ton. Seine Frau und Tochter fielen ihm aber immer wieder mit gut gemeinten Anmerkungen ins Wort, was ihn zunehmend in Rage brachte. Sylvia habe in Olivos einen jungen Deutschen namens Klaus Eichmann kennen gelernt. Ihm, Lothar, habe das gar nicht gefallen. Antisemitische Äußerungen waren bei dem jungen Eichmann an der Tagesordnung. Auf schamlose Weise verlieh er seinem Bedauern über Hitlers Scheitern Ausdruck: Hätte der doch nur sein Ziel, die Vernichtung aller Juden, erreichen können!
Eine solche Gesinnung war eingedenk der hermannschen Familiengeschichte alles andere als akzeptabel Klaus Eichmann prahlte während eines Besuchs bei den Hermanns mit seinem Vater, einem angeblich hohen Wehrmachtsoffizier. Über seine Adresse schwieg sich der junge Mann jedoch aus, was der Herzallerliebsten angesichts seiner sonstigen Angebereien irgendwie merkwürdig vorkam. Eines schönen Tages aber besuchte sie ihre Freundin, die ebenfalls in Olivos wohnte. Natürlich sprach man auch über Klaus Eichmann und – wie es der Zufall wollte – die Freundin kannte nicht nur ihn, sondern auch seine Adresse: Calle Chacabuco 4261.
Für Sylvia gab es nun kein Halten mehr. Sie fuhr zu dem Haus, in dem mehrere Familien wohnten. Es war für jedermann zugänglich, aber an den Türen gab es keine Namensschilder. Das Mädchen stieg darauf in den Keller hinab, um die Namen der Mieter auf den Stromzählern abzulesen. Nur, da gab es keine Familie Eichmann. Sylvia nahm all ihren Mut zusammen und klopfte an eine Tür, hinter der laut Zähler jemand mit Namen Dagoto wohnen musste. Wieder spielte der Zufall ihr in die Hände. Eine wohlbeleibte Frau öffnete und meinte mürrisch, sie sei die Mutter von Klaus. Ihr Sohn arbeite gerade. Vom ruppigen Ton dieser Mitteilung eingeschüchtert, wollte das Mädchen schon kehrtmachen, als hinter der fülligen Dame ein Mann mittleren Alters auftauchte: Brille, Halbglatze, nicht sehr groß, ziemlich hässlich. Was sie wolle, knarrte er. Sylvia fasste sich erneut ein Herz und fragte, ob er der Vater von Klaus sei. Sonderbarerweise antwortete der Mann nicht. Nach reichlichem Zögern nickte er dann endlich nervös. Das Mädchen setzte ein bezauberndes Lächeln auf (seine Spezialität, betonte Lothar Hermann) und streckte dem Hausherrn die Rechte entgegen.
»Sie sind also Herr Eichmann.«
Der so Benannte blieb stumm. Er schüttelte Sylvia weder die Hand noch sagte er irgendetwas. Stattdessen drehte er sich einfach um und verschwand in der abgedunkelten Wohnung.
Im Zug nach Buenos Aires schrieb David den Brief an Fritz Bauer. Noch am Bahnhof warf er ihn ein. Mit dem Bus fuhr er anschließend in seine Wohnung nach La Boca, einem vorwiegend von Italienern bewohnten Viertel der argentinischen Hauptstadt. Er hauste dort in einem Loch, sauber, aber winzig klein, am Rande
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