Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Neuigkeiten über alte Kameraden aufzutischen. Obwohl es ihm viel Nervenkraft abverlangte, pflegte David den Kontakt zu Sassen auch noch nach Feierabend. Der Amateurschauspieler kannte viele Leute in der rechten Szene. David brauchte ihn. Doch erst als der Frühling Einzug hielt – auf der südlichen Erdhalbkugel Ende September, Anfang Oktober –, machte er eine viel versprechende Entdeckung.
Anlass dafür war eine »deutsche Kunstausstellung« (das französisch-dekadente »Vernissage« war in rechten Kreisen verpönt). Willem Sassen hatte David Großes versprochen. Der Federfuchser sollte Recht behalten. Mitten durch die Sektglas schwenkenden Ausstellungsbesucher tänzelte August Siebrecht, ebenjener Mann, dem David zum ersten Mal in Sao Paulo begegnet war und den er dann bis ins paraguayanische Asuncion verfolgt hatte. Derselbe August Siebrecht auch, von dem er wusste – Javier Gonzales sei’s gedankt –, dass er Barrios dem Jüngeren zu Diensten war.
In den nun folgenden Wochen lernte David einiges über die nationalsozialistische Definition des Wortes Flüchtlingshilfe. Dabei ging es, wie unschwer zu erraten ist, nicht um die Rettung verfolgter Juden, Künstler oder sonst wie Andersdenkender, sondern ausschließlich um Überlebenshilfe für altgediente Nazis. August Siebrecht genoss das Wohlwollen Perons, der allerdings immer mehr das Wohlwollen seines Volkes verlor – wirtschaftliche Schwierigkeiten beflügelten sowohl die Opposition im Land wie auch die sie bekämpfende Geheimpolizei. Letztere war Perons Steckenpferd. Unter dem Namen Secretario de Informaciones kümmerte sich der Geheimdienst keineswegs nur um Informationen, sondern auch um politische Flüchtlinge. Perons Privatsekretär Rudi Freude leitete die »Sonderkommission Peralta«, die sich so heikler Spezialfälle annahm wie den des Transportexperten Adolf Eichmann, des »Todesengels« Josef Mengele oder des Ghettokommandanten von Przemysl, Josef Schwammberger.
David berichtete jedes Detail seiner Erkenntnisse nach Deutschland und Österreich. Franz Berger und Simon Wiesenthal waren gewiss dankbar für diese Einblicke. Dazu gehörten auch Informationen über einen geheimnisvollen Nazigönner namens Horst Carlos Fuldner. Hier schloss sich der Kreis: August Siebrecht diente Präsident Peron als »Koordinator für verdeckte Einwanderungen« und seit dem Ausfall von Don Alfonso Mendez alias Justo Rufino Barrios kooperierte er mit einem neuen Geldgeber: der Fuldner-Bank. Unter dem Vorwand, im Namen des Weges Geld für kulturelle Veranstaltungen zu sammeln, sprach David am Sitz des ominösen Geldinstituts in der Avenida Cordoba 374 vor. Fuldner war als Mäzen arischer Kultur bekannt. An diesem »Schwachpunkt« konnte man ihn packen. In der üblichen Weise begann David mit dem Bankier zu plaudern und umgab ihn mit dem Netz des Wahrheitsfinders.
Er selbst sei in Argentinien geboren, verriet Fuldner leutselig, habe aber während des Zweiten Weltkriegs als SS-Offizier im Range eines Hauptmannes gedient. Noch immer fühle er sich den alten Kameraden der Waffen-SS sehr verbunden. Sein Freund August Siebrecht besorge den Flüchtlingen eine Cedula, jene Kennkarte, die als Arbeitserlaubnis und provisorisches Ausweispapier unabdingbar war, und er, Fuldner, kümmere sich dann um alles andere.
Wie David im Verlauf einiger weiterer Unterredungen herausfand, war die Zusammenarbeit der Bank und möglicherweise dadurch sogar mit der geheimen Naziorganisation Odessa einerseits sowie der argentinischen Staatsführung andererseits erstaunlich weit gediehen. Zeitweilig konnte sich der mysteriöse Horst Carlos Fuldner sogar mit dem Signet eines Beamten des Präsidialamtes schmücken. Eine seiner Firmen nannte sich Compania Argentina para Proyectos y Realisaciones Industriales Fuldner y Cia. kurz CAPRI. In Wirklichkeit war CAPRI eine Tarnfirma zur Anwerbung geeigneter Kandidaten für den Militärflugzeugbau.
Die Durchleuchtung des Unternehmens, das übrigens auch seriöse Projekte abwickelte, war anstrengende Kleinarbeit. Notgedrungen lernte David dabei auch Spanisch. Es gelang ihm, das Vertrauen einiger Verwaltungsangestellter zu gewinnen. Ab und zu fielen Namen deutscher Einwanderer, die er dann überprüfte. Weil Argentinien oft nur als Einfallstor in den südamerikanischen Kontinent diente, musste er für seine Recherchen nicht selten auch in die Nachbarstaaten reisen. Einer der auffälligeren Emigranten wurde David als sehr korrekter Mann beschrieben. Er gebe
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