Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
dem Fährmann, der sechs Millionen Juden ins Totenreich übergesetzt hatte. Auch Marie Rosenbaum gehörte zu seinen Opfern. David war es ihr und Simon Wiesenthal schuldig, dass die Neuigkeit in die richtigen Hände gelangte. Ihm selbst blieb nur das lähmende Gefühl, einmal mehr Zeit und Geld vergeudet zu haben. Papen war wohl nie in El Cadillal gewesen.
    Erst Jahre später sollte er erfahren, was sein Hinweis bewirkt hatte. Simon Wiesenthal verfügte über keine eigenen Geldmittel, um nach Argentinien zu fahren und Adolf Eichmanns Aufenthaltsort zu ermitteln. Deshalb schrieb er einen Brief an Nahum Goldmann, den Präsidenten des in New York beheimateten Jüdischen Weltkongresses, und bat um fünfhundert Dollar Reisegeld. Die amerikanischen Juden plagten jedoch andere Sorgen. Als die Berliner Philharmoniker im Frühjahr 1955 unter ihrem Dirigenten Herbert von Karajan in der Carnegie Hall gastierten, war die gesamte Konzerttournee von antideutschen Demonstrationen überschattet. Der Opfermut ist eine unsichere Tugend. Wiesenthals Gesuch wurde abgelehnt. Später schrieb er in seinen Memoiren: »Ich hatte das Gefühl, mit einigen wenigen gleichgesinnten Narren vollkommen alleine zu sein.«
    Einer dieser »Narren« war David, der sich kaum weniger allein gelassen fühlte. Wenn ihn Ruben Rubinstein nicht wenigstens alle sechs Monate heimlich besucht hätte, um mit ihm die Vermögensverwaltung abzustimmen und ihm Wichtiges und weniger Wichtiges aus dem Big Apple zu berichten, wäre er in dem braunen Sumpf von Buenos Aires vermutlich erstickt. Für gewöhnlich brachte Ruben Briefe mit. Einer stammte von Zvi Aharoni und David verfasste umgehend eine Antwort, in der er ihm alle seine Erkenntnisse über Eichmann mitteilte. Vielleicht konnte ja der israelische Geheimdienst in die Suche nach dem Massenmörder eingreifen.
    Im Herbst 1955 brachte Ruben ein Geschenk mit, das David auf besondere Weise anrührte, drei Bücher, in kurzem Abstand hintereinander erschienen, das letzte praktisch noch druckfrisch.
    »Du hast mir einmal erzählt, du kennst den Autor.«
    David las lächelnd den Titel des ersten Bandes: The Fellowship of the Ring, geschrieben von J. R. R. Tolkien. Die ganze Trilogie hieß The Lord of the Rings. »Der Herr der Rin ge«, murmelte er (mit Ruben sprach er fast nur Deutsch). »Dann hat Ronald sein Vorhaben also wirklich wahr gemacht. Würde mich interessieren, ob auch sein Buch über Beowulf schon fertig ist.«
    »Du scheinst dich ja nicht besonders für deine alten Freunde zu interessieren«, tadelte Ruben, wobei er sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen konnte.
    »Wie meinst du das?«
    »Na dieses Beowulf-Buch. Als ich den Herrn der Ringe für dich gekauft habe, bin ich mit dem Buchhändler ins Gespräch gekommen. Er fragte mich, ob ich das frühere Werk des Autors kenne, und erwähnte ein Buch mit dem Titel Beowulf: Die Monster und die Kritiker. Tolkien hat es bereits 1936 veröffentlicht.«
    David strahlte. »Dann hat sich damals mein Geschenk für den angehenden Englischprofessor also doch ausgezahlt.«
    Abgesehen von solchen kleinen Freuden durchlebte David als verdeckter Agent in eigenen Diensten eine eher schmerzliche Zeit in Argentinien. Nach außen blieb er der emsige Feuilletonist des Weges. Seine Glossen ließen bei den Nazis die Tränen schießen, ohne dass sie merkten, über wen sie da in Wirklichkeit lachten. Manchmal war es für David besonders schwer. Als am 18. April 1955 Albert Einstein starb, nahm das Schmierblatt keine Notiz davon. David erinnerte sich an die für ihn so bedeutende Begegnung mit dem genialen Menschen und hätte am liebsten alles hingeschmissen.
    Ähnlich miserabel fühlte er sich, als Der Weg den ungarischen Volksaufstand im Herbst 1956 »als heldenhaftes Aufbegehren gegen den maroden Bolschewismus« bezeichnete. Die Krise am Suezkanal war im schadenfrohen Jargon der Gazette ein »tolldreister Meisterstreich« des ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abd el-Nasser. Weil die Vereinigten Staaten und Großbritannien Nasser entgegen anders lautender Versprechen für den geplanten Bau des Assuan-Staudammes doch kein Geld zuschießen wollten, feuerte er mit scharfer Munition. Am 26. Juli 1956 verstaatlichte er den bis dahin unter britischer Kontrolle stehenden Kanal, um dessen Einnahmen in den Staudammbau umzuleiten. Drei Monate später fiel Israel in Ägypten ein. Die Briten und Franzosen versuchten, wie es der Zufall wollte, ausgerechnet zwei Tage nach dem israelischen Angriff

Weitere Kostenlose Bücher