Der Kreuzfahrer
paar Tage lang so gefesselt hatten und an die ich mich kaum mehr richtig erinnern konnte. Ich dachte an Sir James de Brus und die schrecklich finstere Miene, hinter der er sein gütiges Herz verborgen hatte. Und vor allem dachte ich an Nur – an die strahlende Schönheit, die sie einst so mühelos getragen hatte wie einen goldenen Heiligenschein, und an das verstümmelte Häufchen Elend, zu dem sie geworden war – und das nur meinetwegen.
Die Tränen liefen mir seitlich an der Nase herab, als mein Diener William mit einem Kanten Brot, einem Stück Schweinebraten und einem Krug Quellwasser zu mir trat. »Seid Ihr v-v-verletzt, Herr?«, fragte er und starrte besorgt auf das Blut, mit dem mein Kettenpanzer, Gesicht und Arme überzogen waren.
»Mir fehlt nichts, danke, William«, sagte ich schniefend, »aber ich muss mich waschen, ehe ich etwas essen kann. Gehen wir hinunter ans Meer.«
Also schlugen wir den schmalen Pfad ein, der über die steilen roten Klippen zum blauen Wasser einer versteckten Bucht hinabführte. Ich konnte den gewundenen Pfad nur steif hinunterhumpeln, doch Keelie sprang wie ein junges Hündchen um uns herum, freute sich des Lebens und erkundete neugierig jede Spur, die ihr in die schwarze Nase drang. Ich staunte über ihre Energie – ich konnte mich kaum mehr rühren und gab William meinen Schild, der mir plötzlich unerträglich schwer vorkam. Auf dem Sandstrand angekommen, zog ich mich splitternackt aus, ließ William und Keelie bei meinen Waffen und meiner Kleidung zurück, watete in die sanften Wellen und warf mich dann in die kühlen Arme der See. Ich entfernte mich nicht weit vom Strand, denn ich war kein guter Schwimmer, doch ich tollte in den kühlen, brusthohen Wellen herum wie ein Delphin und spülte mir unter den letzten warmen Sonnenstrahlen Blut und Schmutz vom Leib.
Als ich mich wieder aufrichtete und zum Strand hinüberschaute, etwa vierzig Schritt entfernt, fiel mir etwas Seltsames auf. Ich bewegte mich näher heran, bis ich deutlich erkennen konnte, was sich dort abspielte. Zwei bewaffnete Gestalten standen vor dem Häuflein meiner Kleider, und die dritte Gestalt neben ihnen wirkte verkümmert, wie ein Zwerg. Während ich durch das knietiefe Wasser pflügte, bemerkte ich die Farbe der Waffenröcke, und das Herz sackte mir in die Kniekehlen. Sie waren scharlachrot und himmelblau. Und dann erkannte ich, dass der große Mann, der einen Schritt vor dem anderen stand, eine weiße Strähne im rostroten Haar hatte. Es war Sir Richard Malbête.
»Komm aus dem Wasser, Sängerknabe«, sagte Malbête. »Komm her, dann werden wir dir ein hübsches Ständchen singen.« Seine tiefe Stimme troff vor schwarzem Hohn. Ich blieb, wo ich war, zwanzig Schritt vom Strand entfernt, nackt und tropfend, und bedeckte meine Blöße mit den Händen. Sir Richard Malbête rührte sich nicht. Er stand nur da, die Hand am Heft seines Schwertes, und starrte mich mit diesen raubtierhaften braunen Augen an. Sein Waffenknecht trat hinter die zwergenhafte Gestalt und zog ein langes Messer aus seinem Gürtel. Jetzt sah ich, dass es William war, der da an Händen und Füßen gefesselt im Sand saß. Er hatte eine Platzwunde an der Schläfe und war so fest verschnürt, dass er sich nicht rühren konnte, doch er wirkte eher zornig denn verängstigt, als der Waffenknecht ihm das Messer an die Kehle hielt. Neben dem Jungen lag die tote Keelie, der mit grausamer Wucht der goldblonde Kopf eingeschlagen worden war. Ich spürte einen tiefen Strudel rasender Wut, der in meinem Herzen zu kreisen begann, als ich diesen fröhlichen Hund tot da liegen sah.
»Komm her zu mir, Sängerknabe«, säuselte Malbête, »sonst stirbt dein kleiner Diener hier.«
Mir blieb keine Wahl. Das war eine Frage der Treue. William war mir ein guter und loyaler Diener gewesen, und ich konnte mich nicht retten, indem ich einfach davonrannte und ihn dem sicheren Tod auslieferte. Ich wollte auch gar nicht davonlaufen: Ich wollte Malbête notfalls mit bloßen Händen zerquetschen oder bei dem Versuch umkommen. Also ging ich sehr langsam auf die beiden Männer zu. Außer Reichweite von Malbêtes Schwert blieb ich stehen, neben meiner aufgehäuften Kleidung. Malbête bleckte die großen gelben Zähne. »Das wird mir ein großes Vergnügen sein«, sagte er gedehnt, »auf das ich mich schon seit langem freue. Eigentlich bin ich an diesen Strand gekommen, um ein stilles Plätzchen für ein Bad zu suchen, und sieh einer an, was ich gefunden
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