Der Kreuzritter - Aufbruch - Vägen till Jerusalem
zur Ehre Gottes zu vollenden. Zumindest hatte Arn es so erklärt, als einer der Brüder verstohlen gefragt hatte, ob er denn gar keine Angst habe.
Arns Antwort war zwar keine Lüge, entsprach aber vielleicht nicht ganz der Wahrheit. Der Knabe war nämlich der Überzeugung, dass Gott mit seinem Leben etwas ganz Bestimmtes vorhatte und dass diese Absicht kaum darin bestehen konnte, dass Arn einige Jahre lang Steine mauerte, um dabei den Halt zu verlieren, hinunterzufallen und sich die Knochen zu brechen oder gar zu Tode zu stürzen, wie es zwei Laienbrüdern im Verlauf der Bauarbeiten zugestoßen war. Davor also hatte er keine Furcht.
Doch wenn er so auf die Frage des Bruders geantwortet hätte, hätte er damit hochmütig gewirkt. Und Hochmut wäre eine schwere Sünde gewesen, vielleicht sogar eine noch schwerere als eine Lüge.
Er war einmal von einem hohen Turm hinuntergefallen. Zwar erinnerte er sich selbst nicht mehr daran, hatte aber den Bericht darüber in einer Abschrift aus dem Erinnerungsbuch oben in Varnhem gelesen. Pater Henri hatte mit ihm darüber gesprochen, wie man das Ganze verstehen müsse. Gott habe sein Leben für eine künftige Aufgabe schonen wollen, für eine große Aufgabe.
Seit etwa einem Jahr hatte sich Arns Lesearbeit zunehmend darauf konzentriert, wie man Texte zu verstehen hat, und zwar insbesondere die Heilige Schrift. Zu einer solchen Unterrichtsstunde kam Arn nun mit pochendem Herzen und ein wenig verspätet angelaufen. Die bloßen, aber sauber gewaschenen Füße rutschten auf den geschliffenen Kalksteinplatten im Kreuzgang aus, in dem er Pater Henri sitzen sah.
Doch dieser schalt nicht mit ihm und schien guter Laune zu sein. Er saß zufrieden lächelnd da, als wäre er mit seinen Gedanken weit weg. Er strich dem Knaben eine Zeit lang nur sacht den rasierten kleinen Scheitel, bevor er etwas sagte.
Arn, der sich neben Pater Henri auf der Steinbank niedergelassen hatte, sah, dass er die »Glossa Ordinaria« vor sich liegen hatte, und selbst wenn er zu weit weg saß, um den Text sehen zu können, konnte er recht genau erraten, an welcher Stelle das Buch aufgeschlagen war.
»Nun«, sagte Pater Henri nach einer Weile, als er fast widerwillig die Welt seiner Gedanken verließ. »Wenn wir mit genau dem Text anfangen, den du am Ende der Segnungsmesse singen sollst … Wie soll man ihn wohl verstehen? Sing mir doch die ersten Strophen vor!«
»Der Herr ist mein Hirte;
Mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
Und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele;
Er führet mich auf rechter Straße
Um seines Namens willen«,
sang Arn gehorsam in seinem klaren Sopran, sodass die im Garten arbeitenden Brüder sich von ihrer hockenden Arbeit erhoben, sich auf ihre Werkzeuge stützten und sanft lächelnd lauschten. Alle liebten den Gesang des Knaben.
»Ausgezeichnet, ausgezeichnet, hier können wir erst einmal aufhören«, sagte Pater Henri. »Und jetzt wollen wir versuchen, diesen Text zu verstehen. Sollen wir ihn moralisch oder buchstäblich deuten? Nein, selbstverständlich nicht, sondern wie?«
»Es ist ganz offensichtlich ein allegorischer Text«, sagte Arn und holte Luft. Er brauchte mehr Luft, da er noch etwas außer Atem gewesen war, als er zu singen begonnen hatte.
»Du meinst also, dass wir tatsächlich keine Schafe sind, mein Sohn? Nun, das dürfte offenkundig sein, aber wozu dann dieses Gleichnis?«
»Das Gleichnis ist klar und leicht verständlich«, überlegte Arn mit einer kleinen Furche auf der Stirn. »Wir haben schon alle Schafe und Hirten gesehen, und genau wie die Schafe ihren Hirten brauchen, damit er sie beschützt und für sie sorgt, brauchen wir Gott. Auch wenn wir Menschen sind und keine Schafe, wird Gott gleichsam unser Hirte.«
»Hm«, bemerkte Pater Henri. »Bis dahin war es ja nicht schwer. Aber was bedeuten dann die Worte: ›Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße‹? Haben Schafe eine Seele?«
»Nein«, erwiderte Arn nachdenklich. Er ahnte, dass Pater Henri ihm hier wie schon so oft eine logische Falle stellen wollte, hatte aber schon behauptet, dass der Text allegorisch zu verstehen sei. »Da die Allegorie von Anfang an so offenkundig ist … mit den Schafen sind ja wir gemeint … muss der Text im Folgenden buchstäblich ausgelegt werden. Der Herr erquickt unsere Seelen doch wirklich.«
»Ja, so ist es wohl«, murmelte Pater Henri und lächelte listig, wie er es immer tat, wenn er eine seiner Fallen
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