Der Kreuzritter - Aufbruch - Vägen till Jerusalem
entdeckte, die für Knaben nicht geeignet waren.
Die Ovid-Lektüre hatte natürlich den Sinn, dass man sich dabei auf dessen »Metamorphosen« konzentrierte, epische Verwandlungssagen, bei denen der Leser viel über Legenden und Kulturen lernen konnte, die Teil des Römischen Reichs gewesen waren. Hingegen war es weniger geglückt, wenn der Knabe sich die »Ars amatoria« schnappte, die Liebeskunst. Pater Henri hatte Arn mit genau diesem Buch in einer Ecke der Küche ertappt. Der Junge hatte sich überdies auf eine Weise ungesund erregt gezeigt, die die menschliche Natur nicht hatte verbergen können.
Natürlich hatte Pater Henri da einige geeignete Strafen verhängt, kalte Abreibungen und eine bestimmte Zahl von Gebeten und was ihm sonst noch eingefallen war, obwohl er die Angelegenheit nicht für so ernst hielt, wie er sich den Anschein gab. Im Gegenteil, er hatte Bruder Guilbert in beinahe munterem Ton davon erzählt, und dieser hatte herzlich über die ahnungslose Sünde des Knaben gelacht.
Die ein wenig unpassenden Texte Ovids wurden jedoch in Pater Henris Schlafzelle gebracht, und die Auswahl der Literatur, die Arn zur freien Lektüre überlassen wurde, erfolgte anschließend sorgfältiger und vorsichtiger.
Die Lektüre von Tacitus’ »Germania« beispielsweise musste vorzüglich für einen kleinen Jungen geeignet sein, der selbst ähnlich barbarischer Herkunft war. Pater Henri glaubte, dass Tacitus vielleicht mancherlei innenpolitische Gründe dafür gehabt hatte, diese Germanen geradezu als Vorbilder für die sittenlose römische Bevölkerung darzustellen. Doch alles Wissen über die Vergangenheit des Menschen, auch solche Dinge, die auf die heidnische Zeit mit ihren heidnischen Riten zurückgingen, konnten Pater Henri zufolge als gute Aufklärung dienen. Die »Epistulae« und vor allem die »Ars poetica« des Horaz seien ausgezeichnete Beispiele dafür, was gute Bildung bei den klassischen Autoren wirklich bedeute. Horaz sei manchmal vielleicht etwas theoretisch, doch dann brauche man nur zu Vergil zu wechseln, am liebsten zu dessen »Aeneis«, mit der Arn sich gerade beschäftigte; er war mit geröteten Wangen angelaufen gekommen und hatte von Königin Dido in Karthago erzählt und der darauffolgenden Episode, als es Aeneas erlaubt worden sei, sich in die Unterwelt zu begeben und Roms Zukunft zu sehen.
Lektüre war die Grundlage allen Wissens und aller reinen und klugen Gedanken. Dem zuzustimmen, fiel niemandem schwer, das war selbstverständlich. Doch Pater Henri unterschied sich insofern von vielen seiner Mitbrüder, als er der Ansicht war, man müsse selbst kleine Jungen zeitig mit den weltlichen Texten bekannt machen, bevor sie allzu sehr in der theologischen Wissenschaft erstarrt seien und nie mehr eine Zeile Text lesen könnten, ohne dabei zu glauben, sie hätten die Heilige Schrift vor sich. Dann würden sie sich nur noch fragen, mit welcher der vier Möglichkeiten der Bibelexegese ein Text zu deuten sei - ob buchstäblich, allegorisch, moralisch oder anagogisch.
Natürlich durfte Arns theologische Ausbildung nicht vernachlässigt werden. Bis jetzt gab es in der Vitae Schola nur zwei Exemplare des meistgelesenen Buches dieser Zeit, der Anweisung, wie die Bibel zu lesen sei, die »Glossa Ordinaria«, die alle Mitbrüder ständig konsultierten. Pater Henri achtete jedoch darauf, dass Arn möglichst oft Zugang zu diesem Text erhielt.
Damit ihm kein ungeeigneter Text mehr in die Hände fiel, musste Arn alle Bücher jetzt direkt von Pater Henri in Empfang nehmen. Überdies sollte mindestens eine Arbeitsstunde jeden Tag auf die Frage verwendet werden, was in der Heiligen Schrift leicht und was schwer zu verstehen sei.
Insgeheim freute sich Pater Henri nicht wenig über den Eifer, mit dem Arn immer wieder zu ihm kam, um neue Leseanweisungen zu erhalten oder sich über den Bibeltext des Vortags befragen zu lassen. Der Methode lag der Gedanke zugrunde, den Knaben halb körperlich und halb geistig auszubilden. Da Gottes Absichten für ihn noch nicht klar waren, konnte zumindest niemand diese Methode als falsch bezeichnen.
Pater Henri ging wohl davon aus, dass er selbst als Knabe die verschiedenartigen Tätigkeiten und Pflichten im Kloster höchst unterschiedlich bewertet hätte. Doch bei dem kleinen Arn stellte er nichts Dergleichen fest. Es kam ihm vor, als nähme sich Arn aller Dinge mit dem gleichen Eifer an, so als wollte er dem Namen des Klosters Genüge tun: Vitae Schola.
Aus diesem Knaben
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