Der Krieg am Ende der Welt
töten, verehrten sie ihn mehr denn je. Am Morgen nach dem Zusammenstoß hatte sich der Ratgeber ihrer erinnert, nachdem er die ganze Nacht über an den Gräbern der Gefallenen gebetet hatte. Sie sahen ihm große Traurigkeit an. Was am Abend zuvor geschehen sei, sagte er ihnen, sei sicherlich das Vorspiel zu größeren Gewalttätigkeiten, und er bitte sie, in ihre Häuser heimzukehren, denn sie würden vielleicht ins Gefängnis kommen, wenn sie bei ihmblieben, oder würden sterben wie diese fünf Brüder, die jetzt vor dem Angesicht Gottes standen. Keiner rührte sich von der Stelle. Seine Augen glitten über die hundert, hundertfünfzig, zweihundert Zerlumpten, die ihm zuhörten, noch erregt über die Vorfälle am Abend, und schien sie nicht nur anzublicken, sondern zu sehen. »Dankt dem guten Jesus«, sagte er sanft, »anscheinend hat er euch dazu ausersehen, ein Beispiel zu geben.«
In tiefster Seele betroffen, weniger von dem, was er ihnen gesagt hatte, als von der Milde seiner sonst so strengen, unpersönlichen Stimme, zogen sie hinter ihm her. Manche kostete es harte Mühe, seinen stelzvogelartig langen Schritten zu folgen auf dem unwahrscheinlichen Weg, den er sie diesmal führte: es war kein Lasttierweg und kein Cangaceiro-Pfad, sondern wilde Wüste mit Kakteen, Felsen und Steinfeldern. Doch keinen Augenblick war er sich unschlüssig über die Richtung. Auf der Rast in der ersten Nacht, nach dem Rosenkranz und dem Dankgebet, sprach er ihnen vom Krieg, von den Ländern, die sich aus Beutegier gegenseitig umbrachten, wie Hyänen im Streit um einen Tierkadaver, und betrübt meinte er, daß nun auch Brasilien wie diese ketzerischen Nationen handeln werde, da es eine Republik geworden sei. Der Teufel müsse in Festtagsstimmung sein, hörten sie ihn sagen, und hörten, die Zeit sei gekommen, Wurzeln zu schlagen und einen Tempel zu bauen, der im Weltuntergang das sei, was im Anfang Noahs Arche gewesen.
Und wo würden sie Wurzeln schlagen und diesen Tempel errichten? Sie erfuhren es, nachdem sie über Tafelgebirge und Hochebenen, durch Schluchten und Buschwälder gegangen waren auf Wanderungen, die mit der Sonne begannen und mit der Sonne endeten, und nachdem sie einen Gürtel von Bergen und einen Fluß überquert hatten, der Vaza Barris hieß. Als er ihnen in der Ferne die Ansammlung von Hütten wies, in denen die Plantagenarbeiter gewohnt hatten, und das verfallene Steingebäude, das einmal Herrenhaus gewesen war, damals, als alles noch eine Fazenda gewesen war, sagte der Ratgeber: »Hier werden wir bleiben.«
Manche erinnerten sich, daß er seit Jahren in seinen nächtlichen Ansprachen prophezeit hatte, vor dem Ende würden dieAuserwählten des guten Jesus Zuflucht finden in einer hohen, bevorrechteten Erde, die kein Unreiner je betreten würde. Wer bis dahin käme, hätte die Gewißheit der ewigen Ruhe. Waren sie in das Land des Heils gekommen?
Glücklich und müde strebten sie hinter ihrem Führer nach Canudos, wo die Familien der Brüder Vilanova, zweier Kaufleute, die hier ein Geschäft hatten, aus ihren Häusern traten, um sie kommen zu sehen, und mit ihnen alle übrigen Bewohner des Dorfes.
Die Sonne brennt auf den Sertão, glänzt in den schwarzgrünen Wassern des Itapicurú, spiegelt sich auf den Häusern von Queimadas, die sich rechts des Flusses am Fuß eines Steilhangs aus rötlicher Tonerde ausbreiten. Spärliche Bäume beschatten den steinigen Boden, der sich in Richtung Riacho da Onça wellenförmig nach Südosten erstreckt. Der Reiter – Reitstiefel, breitkrempiger Hut, dunkler Frack – reitet ohne Eile, eskortiert von seinem und seines Maultiers Schatten, auf ein Gehölz bleifarbener Büsche zu. Hinter ihm, schon ziemlich fern, funkeln noch die Dächer von Queimadas. Zu seiner Linken, ein paar hundert Meter entfernt, steht eine Hütte auf einem Bergvorsprung. Sein Haar, das unter dem Hut hervorquillt, sein rötlicher Spitzbart und seine Kleider sind staubbedeckt; er schwitzt stark, von Zeit zu Zeit trocknet er sich die Stirn mit der Hand und fährt sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. Vor den ersten Büschen des Gehölzes zügelt er das Maultier, und seine hellen Augen suchen eifrig in der einen und der anderen Richtung. Endlich entdeckt er, nur ein paar Schritte vor sich, in der Hocke eine Falle untersuchend, einen Mann in Sandalen und Lederhut, in Leinenhose und -kittel, der eine Machete im Gürtel trägt. Galileo Gall steigt ab und geht, das Maultier hinter sich
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