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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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kämpften, obgleich ohne sich dessen bewußt zu sein, da sie die Grundfesten des Privateigentums unterhöhlten. Das erleichterte seine Freundschaft mit dem ehemaligen Gauner. Dem ehemaligen, denn er hatte sich aus den unerlaubten Geschäften zurückgezogen. Er war ledig, hatte aber mit einem dreißig Jahre jüngeren Mädchen ägyptischer oder marokkanischer Herkunft zusammengelebt, in das er sich in Marseille, ihrer arabischen Augen wegen, verliebt hatte. Er hatte sie nach Bahia mitgenommen, in der Oberstadt eine kleine Villa für sie gebaut und ein Vermögen für die Einrichtung ausgegeben, um sie glücklich zu machen.Bei der Rückkehr von einer seiner Reisen fand er, daß die Schöne ausgeflogen war und alles mitgenommen hatte, was nicht niet- und nagelfest war, auch einen kleinen Safe, in dem van Rijsted etwas Gold und ein paar Edelsteine aufbewahrt hatte. Diese Details erzählte er Gall, während sie, das Meer und die Segelschiffe betrachtend, an der Mole spazierengingen, aus dem Englischen ins Französische und ins Portugiesische überwechselnd in einem lässigen Ton, den der Revolutionär schätzte. Jan van Rijsted lebte von einer Rente, die es ihm, wie er behauptete, erlauben würde, bis zu seinem Tod zu essen und zu trinken, vorausgesetzt, er käme nicht zu spät.
    Der Holländer, ein ungebildeter, aber wissensdurstiger Mann, lauschte ehrerbietig Galileos Theorien über die Freiheit sowie über die Schädelform als Symptom für menschliches Verhalten, gestattete sich jedoch, anderer Meinung zu sein, wenn der Schotte ihm versicherte, die Liebe zwischen einem Paar stelle eine Belastung dar und sei Quelle vielen Unglücks. Galls fünfter Brief an L’Etincelle de la révolte ging über den Aberglauben, das heißt die Kirche des Senhor do Bonfim, die von Pilgern, solchen, die Wunder erbaten, und solchen, die sich für Wunder bedankten, mit Votivbildern, hölzernen und gläsernen Beinen, Händen, Köpfen, Brüsten und Augen vollgestopft worden war. Der sechste handelte von der Errichtung der Republik, die im aristokratischen Bahia lediglich den Wechsel einiger Namen bedeutet habe. Im nächsten Brief verherrlichte er vier Mulatten – die Schuster Lucas Dantas, Luiz Gonzaga das Virgens, João de Deus und Manuel Faustino –, die sich vor hundert Jahren unter dem Einfluß der Französischen Revolution verschworen hatten, die Monarchie zu stürzen und eine egalitäre Gesellschaft von Negern, Mulatten und Weißen zu gründen. Jan van Rijsted führte Galileo an den kleinen Platz, auf dem die Handwerker gehenkt und gevierteilt worden waren, und sah zu seiner Überraschung, daß Gall ein paar Blumen niederlegte.
    Vor den Regalen der Buchhandlung Catilina lernte Galileo Gall eines Tages Doktor José Batista de Sá Oliveira kennen, einen schon betagten Arzt und Verfasser eines Buches, das Gall mit Interesse gelesen hatte: Vergleichende Schädelmessung, unter evolutionistischen und gerichtsmedizinischen Gesichtspunkten an den Menschenrassen von Bahia vorgenommen. Der Alte,der in Italien gewesen war und Cesare Lombroso gekannt hatte, dessen Theorien ihn entscheidend beeinflußten, war glücklich, wenigstens einen Leser für das Buch gefunden zu haben, das er mit eigenem Geld veröffentlicht hatte und das seine Kollegen für überspannt hielten. Überrascht von den medizinischen Kenntnissen Galls – wenngleich immer auch verblüfft und oft schockiert von seinen Meinungen –, fand Doktor Oliveira in dem Schotten einen Gesprächspartner, mit dem er gelegentlich stundenlang hitzig über die Psyche der Verbrecherpersönlichkeit, über biologisches Erbgut oder über die Universitäten diskutieren konnte, eine Institution, an der Gall kein gutes Haar ließ, weil er sie für die Teilung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit verantwortlich machte und sie deshalb als eine Ursache gesellschaftlicher Ungleichheiten betrachtete, schlimmer als die, welche die Aristokratie oder die Plutokratie hervorgebracht hatten. Doktor Oliveira empfing Gall in seiner Praxis und ließ ihn manchmal einen Aderlaß machen oder ein Klistier geben.
    Obwohl sie mit ihm verkehrten und ihn möglicherweise schätzten, hatten weder van Rijsted noch Doktor Oliveira den Eindruck, diesen rothaarigen und rotbärtigen, schwarz und schlecht gekleideten Mann wirklich zu kennen, der trotz seiner Ideen ein friedliches Leben zu führen schien: er schlief weit in den Tag hinein, erteilte privaten Sprachunterricht, trottete unermüdlich durch die Stadt oder blieb

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