Der Krieg am Ende der Welt
Maultier, das Galileo am Zügel führt. Die zwei Männer sind fast gleich groß, doch der Ausländer ist beleibter, sein Gang abgehackt und energisch, während der Führer über die Erde zu schweben scheint. Es ist Mittag, ein paar weißliche Wolken sind am Himmel aufgezogen. Die Stimme des Spurenlesers verhallt in der Luft, während sie sich entfernen:
»Wer hat Ihnen von mir gesprochen? Und, wenn es nicht indiskret ist, warum wollen Sie so weit gehen? Was haben Sie in Canudos verloren?«
Sie erschien eines regenlosen frühen Morgens auf einer Anhöhe auf dem Weg nach Quijinga, ein schweres Holzkreuz auf der Schulter. Sie war erst zwanzig, aber sie hatte so viel gelitten, daß sie sehr alt wirkte: eine Frau, breitgesichtig, mit zerschundenen Füßen und einem Körper ohne Formen, die Haut rattenfarben.
Sie hieß Maria Quadrado und war von Salvador nach Monte Santo unterwegs, zu Fuß. Schon drei Monate und einen Tag schleppte sie das Kreuz. Auf dem Weg, durch Felsschluchten, über kakteengespickte Steppen, über Wüsten, in denen der Wirbelwind heulte, durch Ortschaften, die nichts weiter waren als eine einzige schmutzige Straße und drei Palmen, durch stinkende Sümpfe, in denen die Kühe untertauchten, um sich vor den Fledermäusen zu schützen, hatte Maria Quadrado bei Wind und Wetter im Freien geschlafen, bis auf die wenigen Male, da irgendein Vagabund oder ein Hirt ihr seinen Unterschlupf anbot, weil er sie für eine Heilige ansah. Ernährt hatte sie sich von Zuckerkruste, die barmherzige Menschen ihr schenkten, und von wilden Früchten, die sie abpflückte, wenn ihr vom Fasten der Magen krachte. Als sie von Bahia aufgebrochen war mit dem Vorsatz, als Buße für ihre Sünden zu dem wundertätigen Kalvarienberg in der Serra de Piquaraçá zu pilgern, wo eine zwei Kilometer lange, zum Gedächtnis an die Stationen des Herrn mit Kapellen gesäumte Straße zu der Kirche Santa Cruz de Monte Santo führte, hatte Maria Quadrado zwei Röcke, eine blaue Bluse und Hanfschuhe angehabt, und ihre zwei Zöpfe waren mit einem Band zusammengebunden gewesen. Doch unterwegs hatte sie ihre Kleider an Bettler verschenkt, und die Schuhe wurden ihr in Palmeira dos Indios gestohlen. So daß sie an jenem frühen Morgen, als sie den heiligen Berg erblickte, barfuß ging, gekleidet in einen Rupfensack mit zwei Löchern für die Arme. Ihr kahler Schädel mit den schlecht gestutzten Stoppeln erinnerte an die Köpfe der Irren im Spital von Salvador. Sie hatte ihn selbst geschoren, nachdem sie zum viertenmal vergewaltigt worden war.
Denn viermal seit Beginn ihrer Wanderschaft war sie vergewaltigt worden: von einem Polizisten, von einem Viehtreiber, von zwei Jägern und von einem Ziegenhirten, der sie in seiner Höhle hatte schlafen lassen. Die ersten drei Mal hatte sie, während die Männer sie entehrten, nur Widerwillen empfunden gegen diese Tiere, die da über ihr zuckten, als hätten sie den Veitstanz, und hatte die Prüfung ertragen und zu Gott gebetet, sie möge nicht schwanger werden. Aber das vierte Mal hatte sie Mitleid gespürt mit dem Jungen über ihr, der zärtliche Worte stammelte, nachdem er sie zuerst geschlagen hatte, um sie gefügig zu machen. Um sich für dieses Mitleid zu strafen, hatte sie sich das Haar abgeschoren und sich in ein Wesen verwandelt, so grotesk wie die Monstren, die der Zirkus des Zigeuners in den Dörfern des Sertäo zur Schau stellte.
Als Maria Quadrado auf der Anhöhe stand und endlich den Preis so vieler Anstrengungen sah – die weißgrauen Steintreppen, die hoch oben auf dem Kalvarienberg enden, wo in jeder Karwoche Menschenmassen aus allen Ecken und Enden der Provinz Bahia zusammenströmen, und unten, am Fuß des Berges, die Häuser von Monte Santo, eng aneinandergedrängt um einen Platz mit zwei ausladenden Tamarinden, auf dem sich winzige Schatten bewegten –, warf sie sich nieder und küßte die Erde. Dort, in einer Ebene mit sprossender Vegetation und weidenden Ziegen, lag der ersehnte Ort, dessen Name ihr die Kraft verliehen hatte, die Wanderschaft zu überstehen und Müdigkeit, Hunger, Kälte, Hitze und Schrecken zu ertragen. Sie küßte die zwei Balken, die sie selbst zusammengenagelt hatte, und dankte Gott, daß er ihr erlaubt hatte, ihr Gelöbnis zu erfüllen. Dann nahm sie einmal mehr das Kreuz auf die Schulter und trottete nach Monte Santo wie ein Tier, das die Nähe der Beute oder des Verlangens wittert.Sie betrat das Dorf zu der Stunde, da die Leute aufwachen, und Neugier regte sich
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