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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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lesend und schreibend in seiner Kammer. Manchmal verschwand er für mehrere Wochen, ohne Bescheid zu sagen, und war er wieder da, erfuhren seine Freunde, daß er unter schwierigsten Bedingungen weite Reisen durch Brasilien unternommen hatte. Nie erwähnte er ihnen gegenüber seine Vergangenheit oder seine Zukunftspläne, und da er ihnen, wenn sie ihn darüber befragten, ausweichende Antworten gab, fanden sie sich damit ab, ihn so zu nehmen, wie er war oder zu sein schien: ein Einzelgänger, exotisch, rätselhaft und originell, revolutionär in Worten und Ideen, aber harmlos im Umgang.
    Zwei Jahre später sprach Galileo Gall leidlich portugiesisch und hatte einige weitere Briefe an L’Etincelle de la révolte geschickt: den achten Brief über die körperliche Züchtigung von Hausangestellten in Haushöfen und Straßen der Stadt undden neunten über die zur Zeit der Sklaverei benutzten Folterinstrumente : den spanischen Stiefel, den Stock, den Halsring oder gargalheira, die Metallkugeln und die infantes oder Daumenschrauben. Den zehnten über den Pelourinho, den Züchtigungsplatz der Stadt, auf welchem Rechtsbrecher (Gall nannte sie »Brüder«) noch immer mit Peitschen aus ungegerbtem Leder ausgepeitscht wurden, die unter der Bezeichnung bacalhau, einem Wort aus der Seemannssprache, in den Geschäften auslagen.
    Bei Tag und Nacht durchstreifte er so oft die Gassen von Bahia, daß man hätte meinen können, er sei in die Stadt verliebt. Doch Galileo Gall interessierte sich nicht für die Schönheiten von Bahia, sondern für den Anblick der Ungerechtigkeit, ein Schauspiel, das ihn immer aufs neue empörte, er mochte es noch so oft gesehen haben. Im Unterschied zu Europa, erklärte er in seinen Briefen nach Lyon, gebe es hier keine feinen Wohnviertel. »Die Hütten der Ärmsten stehen dicht neben den mit Kacheln verkleideten Palästen der Plantagenbesitzer, und seit der großen Dürre vor dreißig Jahren, die Tausende von Flüchtlingen aus dem Hochland in die Stadt getrieben hat, sind die Straßen voll von Kindern, die wie Greise aussehen, von Greisen, die wie Kinder aussehen, von Frauen, die nur noch Besenstiele sind, Menschen, an denen der Wissenschaftler sämtliche physischen Krankheiten identifizieren kann, von den gutartigen bis zu den fürchterlichsten: Gallenfieber, Beriberi, Hautwassersucht, Dysenterie, Pocken.« »Jeder Revolutionär, der seine Überzeugung von der Notwendigkeit der Revolution wanken fühlt«, schrieb er in einem seiner Briefe, »sollte einen Blick auf das werfen, was ich hier in Salvador sehe: er würde nicht länger zweifeln.«

III
    Als man Wochen später in Salvador erfuhr, in einer abgelegenen Ortschaft namens Natuba seien die Erlasse der jungen Republik über die neuen Steuern verbrannt worden, beschloß das Innenministerium, einen Trupp Bahianer Polizei zu entsenden, um die Aufständischen festzunehmen. Dreißig Mann, grün und blau uniformiert, mit Kappen, auf denen die Republik die Embleme der Monarchie noch nicht ausgewechselt hatte, machten sich, zuerst im Zug, dann zu Fuß, auf die gefährliche Reise ins Landesinnere, einem Ort entgegen, der für alle nur ein Name auf der Landkarte war. Der Ratgeber war nicht in Natuba. Die verschwitzten Polizisten befragten Gemeinderäte und Bewohner, ehe sie die Suche nach diesem Aufrührer fortsetzten, dessen Namen, Beinamen und Legende sie bis an die Küste bekanntmachen und in den Straßen von Bahia verbreiten sollten. Unter Führung eines Spurenlesers aus der Gegend verschwanden sie, grün-blau im strahlenden Morgen, hinter den Bergen auf dem Weg nach Cumbe.
    Eine weitere Woche lang marschierten sie bergauf, bergab auf den Spuren des Ratgebers, über rötlichen Sand, durch Buschwälder, vorbei an hungrigen Schafherden, die im dürren Laub scharrten. Alle hatten ihn und seine Leute gesehen, am Sonntag hatte er in dieser Kirche gebetet, auf jenem Platz gepredigt, am Fuß dieses Felsen geschlafen. Sieben Meilen hinter Tucano, in den Ausläufern der Serra de Ovó, fanden sie ihn schließlich in einem Dorf, das Masseté hieß. Es war Abend, sie sahen Frauen mit Krügen auf dem Kopf, sie seufzten erleichtert, als sie erfuhren, die Verfolgung würde nun ein Ende haben. Der Ratgeber, hieß es, übernachte im Haus des Severino Vianna, der tausend Meter vor dem Dorf ein Maisfeld habe. Zwischen Juazeiro-Bäumen mit haarigen Zweigen und Velame-Sträuchern, die ihnen die Haut reizten, trotteten die Polizisten hin. Als sie ankamen – es war schon fast

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